Javier Bardem brilliert in Fernando León de Aranoas bissiger Satire als charismatischer Chef eines Unternehmens für Industriewaagen, der alle moralischen Grenzen überschreitet, um eine Auszeichnung und damit auch Förderungen zu erhalten: Sehr unterhaltsame, mit sechs Goyas – den spanischen Oscars – ausgezeichnete, pointierte und temporeiche Abrechnung mit dem Ungleichgewicht zwischen Unternehmern und Angestellten.
„Blanco básculas“ ist nicht nur ein Familienunternehmen, sondern der Chef Julio Blanco (Javier Bardem) impft auch den Mitarbeiter*innen immer wieder ein, dass sie alle eine Familie und er quasi ihr Vater sei, der sich um sie kümmere. Nun hat es das Unternehmen für Industriewaagen in die Endausscheidung im Wettbewerb um exzellente Unternehmensführung geschafft. Selbstverständlich ist für den charismatischen Julio, dass die Mitarbeiter*innen bei der finalen Prüfung der Kommission erklären werden, wie wunderbar ihr Arbeitsplatz ist.
Doch ganz so rund, wie der Mittfünfziger die Firma nach außen präsentieren will, läuft es bei genauerem Hinsehen doch nicht. Denn da gibt es einmal einen entlassenen Angestellten, der sich mit der Abfertigung nicht abfinden will. Zuerst kommt er mit seinen beiden Kindern mit schweren Vorwürfen in die Firma, dann schlägt er vor dem Eingangstor sein Lager auf und protestiert mit Transparenten und Megaphon lautstark gegen seine Kündigung. Andererseits hat der Produktionsleiter die Arbeit überhaupt nicht mehr im Griff und drittens macht eine junge Praktikantin Julio schöne Augen.
Alle Probleme will der Chef mit seinen Beziehungen, seiner Weltgewandtheit, seinem Geld oder seinem Charme regeln. So holt er auch gleich einmal zu Beginn mit seinen Kontakten zur Justiz den Sohn eines Mitarbeiters, der mit Kumpels einen arabischen Migranten brutal verprügelt hat, aus dem Gefängnis und verschafft ihm einen Pseudo-Job in der Boutique seiner Frau.
Berichterstattung über die Proteste des Entlassenen will er mit seinen Kontakten zur Presse unterbinden, während er sich ins Privatleben des Produktionsleiters und seiner Frau einmischt, um den Arbeitsprozess wieder in gewohnten Lauf zu bringen. Auch der hübschen Praktikantin, die zudem noch die Tochter eines Freundes ist, erliegt er rasch, will sie aber nach einem One-Night-Stand auch schon wieder los werden.
Ganz auf Javier Bardem zugeschnitten ist diese bissige Satire, deren Handlung durch Inserts der Wochentage gegliedert ist, und der Oscar-Preisträger genießt sichtlich diese Rolle. Nach außen freundlich zu jedem und fast immer beherrscht, deckt er hinter der Fassade den eiskalten Kapitalisten auf, den nur seine Firma interessiert, das Wohl der Mitarbeiter*innen letztlich aber kaum.
Eine direkte Anspielung auf Coppolas Meisterwerk „Der Pate“ ist hier kein Zufall, sondern gezielt legt León de Aranoa diesen Firmenboss als Parallele zum Mafiaboss Don Vito Corleone an. Wie dieser erweist auch Julio am Beginn eine Gefälligkeit, will dafür aber im Finale eine Gegenleistung, bei der endgültig seine Rücksichtslosigkeit sichtbar wird, wenn es um die Durchsetzung seiner Interessen geht.
Und auch kein Zufall ist freilich, dass es um ein Unternehmen für Waagen geht. Durchgängig kann so León de Aranoa mit der Frage nach Gerechtigkeit und Gleichgewicht, die sein Protagonist, dessen Nachname Blanco zudem noch Assoziationen an eine weiße Weste und moralische Anständigkeit weckt, spielen. Diese Werte hat sich Julio selbst groß auf die Fahnen geschrieben. Er betont sie nicht nur neben Loyalität und Anstrengung immer wieder gegenüber seinen Mitarbeiter*innen, sondern eine große Aufschrift in der Firma sorgt auch dafür, dass man sie nie vergisst.
Wenn die Waage am Firmeneingang immer wieder aus der Balance ist, verweist das auch auf das Missverhältnis zwischen Chef und Mitarbeiterschaft. Aber auch eine Metapher für die Schwierigkeit der Unternehmensführung, bei der die Balance zwischen verschiedensten Aspekten bewahrt werden muss, kann man darin sehen.
Ein ambivalenter Charakter bleibt so dieser Boss, dem das Unternehmen als Erbe in den Schoss gefallen ist und der stets von Verantwortung spricht, aber im wahrsten Sinne des Wortes über Leichen geht, wenn es ums Firmeninteresse geht. Auch die Ballettkarten, die er seinem Security-Mann, der den Eingang zur Firma bewacht, schenkt, erweisen sich da schließlich nicht als Großzügigkeit, sondern als kühler taktischer Schachzug.
Trocken und mit schwarzem Humor lässt León de Aranoa in einer starken Parallelmontage die Gegensätze im Finale aufeinanderprallen und bringt dabei diese Abrechnung mit dem „perfekten Boss“ auf den Punkt: Während er in seiner Luxusvilla mit Pool ein Abendessen mit seiner Frau genießt, machen andere für ihn die Drecksarbeit.
Wesentlich zum Gelingen des Films trägt neben dem großartigen Bardem auch das von León de Aranoa selbst geschriebene Drehbuch bei. Dicht gebaut ist dieses und weitet und verdichtet mit den Nebenfiguren sukzessive das Bild dieses janusköpfigen Unternehmers. Großes Vergnügen bereitet es diesem schillernden Charakter zuzuschauen. Auf Katharsis und den Sieg des Guten darf man dabei, auch wenn Julio in einem Punkt eine Niederlage einstecken muss, freilich nicht hoffen: Zu sehr ist „El buen patrón“ dazu der realen Wirtschaftswelt abgeschaut.
El buen patron – Der perfekte Chef Spanien 2021 Regie: Fernando León de Aranoa mit: Javier Bardem, Manolo Solo, Sonia Almarcha, Almudena Amor, Óscar de la Fuente, Rafa Castejón, Fernando Albizu, Tarik Rmili Länge: 120 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan - ab Ende Juli in den österreichischen und deutschen Kinos
Trailer zu "El buen patrón - Der perfekte Chef"
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