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  • AutorenbildWalter Gasperi

Doubles vies - Zwischen den Zeilen

Ein Verleger, ein Autor, eine Politikerberaterin, eine TV-Schauspielerin – Feste Beziehungen, aber auch Affären nebenher, vor allem aber wird permanent über den Umbruch im Literaturbetrieb geredet, über Digitalisierung und neue Romanformen, über das Verschwinden der Literaturkritik und Berühmtheit durch TV statt durch Theater. – Klingt trocken, aber in der Hand von Olivier Assayas wird daraus eine leichthändige, luftige Komödie.


Man spürt es: Olivier Assayas, der auch selbst das Drehbuch schrieb, muss niemandem mehr etwas beweisen. Wunderbar unverkrampft und leichthändig inszeniert er, wie aus dem Ärmel geschüttelt wirkt sein Film. Große dramatische Story entwickelt er nicht, sondern setzt ganz auf rasante Dialoge und kann dabei auch auf ein herausragendes Schauspielerensemble bauen.


Ansatzlos lässt er „Doubles vies“, der auf Super 16mm-gedreht wurde, was den Bildern Grobkörnigkeit und leichte Unschärfe verleiht, mit dem Besuch des Autors Leonard (Guillaume Canet) bei seinem Verleger Alain (Vincent Macaigne) einsetzen. Leonard möchte sich nach der Veröffentlichung seines neuen Buches erkundigen, doch nur kurz äußert sich Alain zum Manuskript, vor allem kreist das Gespräch um den Wandel der Literatur- und Medienwelt.


Leonard interessiert sich nicht für E- und Audio-Books sowie für Kommentare im Internet, er hängt ganz am gedruckten Buch. Alain dagegen glaubt als Verleger mit der Zeit gehen zu müssen, erkennt, dass die Menschen nicht mehr so viel lesen, gleichzeitig aber Unmengen im Internet geschrieben wird. Den berühmten Satz aus Lampedusas „Der Leopard“, dass sich die Dinge ändern müssten, um die gleichen zu bleiben, wird er später zitieren.


Rasant geht das Gespräch zunächst im Büro dahin, dann weiter in einem Restaurant, wo man speist, bis man wieder zu Alains Büro zurückkehrt. Als sich die beiden verabschieden, fragt Leonard nochmals nach dem Veröffentlichungstermin, worauf Alain erstaunt antwortet, dass doch wohl klar sei, dass er das Buch nicht gedruckt herausbringen werde.


Die lange Dialogszene gibt den Ton des Films vor. Äußere Bewegung gibt es in „Doubles vies“ kaum, in erster Linie wird geredet. Von Alain und Leonard wechselt Assayas bald zu Alain und seiner Frau Selena (Juliette Binoche), die mit einer TV-Serie, in der sie – wie sie immer betont - keine Polizistin, sondern eine Expertin für Krisensituationen spielt, Erfolge feiert, bald zu Leonard und seiner Partnerin Valerie (Nora Hamzawi), die als PR-Beraterin für einen Politiker arbeitet.


Gleichzeitig haben die beiden Männer aber auch wieder Affären, Leonard mit Selena, die sich für Leonards neues Buch einsetzt, und Alain mit der jungen Laure (Christa Théret), die in seinem Verlag für die Digitalisierung zuständig ist, aber auch schon wieder die Fühler nach einem besseren Job ausstreckt.


Während der langhaarige Leonard, der immer wieder schnoddrig auftritt, mit seiner Vorliebe für Print und Internet-Distanz für eine vergangene Zeit steht, vertritt Alain die Gegenwart, während sich in Laure schon die Zukunft ankündigt, wenn sie von Romanen aus SMS träumt und die Digitalisierung im Literaturbetrieb weitertreibt und glaubt, dass es Literaturkritik bald nicht mehr geben wird.


So schwergewichtig die Themen sind und so dialoglastig der Film auch ist, so bleibt „Doubles vies“ doch dank seines Esprits und der lustvoll aufspielenden Schauspieler ein leichtfüßiges Vergnügen. Bruchlos knüpft Assayas dabei an seine letzten Filme an, wenn die junge Laure quasi eine Parallelfigur zur von Kristen Stewart gespielten Assistentin einer alten Schauspielerin in „Sils Maria“ ist und die schon in „Personal Shopper“ thematisierte Rolle der neuen Medien weitergetrieben wird.


Vieldeutig ist dabei auch der Titel, wenn „Doubles vies“ einerseits auf die Entwicklungen im Literaturbetrieb anspielt, andererseits sich aber auch auf das Spannungsfeld von beruflichem und privatem Leben und drittens natürlich und vor allem auf das Doppelleben der Protagonisten mit ihren Partnerinnen und Affären beziehen kann.


Bei Assayas fließt das alles bruchlos zusammen, locker wechselt er zwischen den Szenen, lässt sein Ensemble beim Abendessen diskutieren oder Leonard bei einer Lesung oder in einer Radiosendung zu seinen Romanen Stellung beziehen. Denn diese sind umstritten, da er persönliche Liebesgeschichten wenig verschlüsselt darin verarbeitet: Nicht Romane, sondern Autofiktion nennt er deshalb seine Bücher.


Da wirft Assayas freilich auch die Frage nach der Privatsphäre auf, nach dem Recht auf Vermarktung eines anderen Lebens und kann gleichzeitig einen schönen Running Gag um eine Romanstelle, die um Hanekes „Das weiße Band“ kreist, einbauen. Da geht es dann auch darum, wie in der Literatur Realität verfälscht und geschönt wird, weil „Das weiße Band“ eben besser klingt als „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ oder die Semana Santa in Sevilla als Schauplatz attraktiver ist als eine Buchmesse in einer französischen Kleinstadt.


Nach dem – zumindest auf den ersten Blick – trockenen Beginn wird „Doubles vies“ immer lockerer und verspielter, bis diese typisch französische Komödie schließlich ungemein entspannt im Landhaus von Alain/Selena am Meer ausklingt. Da erlaubt sich Assayas dann selbst die reale Juliette Binoche ins Spiel einzubeziehen, wenn über sie gesprochen wird, während sie gleichzeitig als Darstellerin der Selena präsent ist.


In den Hintergrund rückt in diesem Epilog aber auch die Literatur und mehr Gewicht gewinnen die Beziehungen. Ein echtes Kind zu bekommen und das Glück mit der Partnerin scheinen letztlich eben doch zentraler als die Literatur und die Digitalisierung im Büchermarkt, deren Entwicklungen sowieso nicht abzusehen sind und vielfach auch, wie sich beim geplanten Verkauf eines Verlags zeigt, von außen gesteuert werden.


Läuft im Cinema Dornbirn (Deutsche Fassung) und im TaSKino Feldkrich/Kino Rio (franz. O.m.U.)


Trailer zu "Doubles vies - Zwischen den Zeilen"



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