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AutorenbildWalter Gasperi

Do You Remember Me?


Mindestens 200 Millionen Frauen und Mädchen sind derzeit von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen, täglich kommen 11.000 Opfer dazu. Désirée Pomper, Helena Müller und Murat Temel erzählen in ihrem von der Schweizer Gratiszeitung 20 Minuten produzierten Dokumentarfilm eindringlich am Beispiel der 28-jährigen Äthiopierin Sara Aduse nicht nur von schwerer Traumatisierung und dem langen Weg zurück ins Leben, sondern auch von der Schwierigkeit in der äthiopischen Gesellschaft ein Umdenken herbeizuführen.


Mit verweinten Augen erzählt die in Zürich lebende 28-jährige Krankenpflegerin Sara Aduse direkt in die Kamera, wie bei ihr als Siebenjährige die Genitalverstümmelung zunächst Angst und dann Wut auslöste und wie durch diesen Eingriff ihr Selbstwertgefühl und das Vertrauen zu ihrer Mutter zerstört wurdne und sie sich in den folgenden Jahren wertlos fühlte.


Ganz aus der Perspektive dieser jungen Frau erzählen Désirée Pomper, Helena Müller und Murat Temel. Drei Jahre begleiteten die FilmemacherInnen und JournalistInnen der Schweizer Gratiszeitung 20 Minuten mit der Kamera Sara Aduse. Auf jeden verbalen Off-Kommentar verzichten sie, halten sich zurück und überlassen den filmischen Raum ihrer Protagonistin, bieten aber immer wieder mit Inserts allgemeine Hintergrundinformationen zur weiblichen Genitalverstümmelung.


Von der Schweiz, wo Sara seit ihrem 12. Lebensjahr lebt, folgen die drei FilmemacherInnen der jungen Äthiopierin zurück in ihre Heimat, wo sie ihre Großmutter, die die Beschneidung veranlasste, während Saras Mutter schon in der Schweiz arbeitete, und die Beschneiderin zu dem Eingriff befragen will.


Wie die Großmutter vertritt auch die Beschneiderin immer noch die Meinung, dass die Genitalverstümmelung notwendig sei, denn sie sorge dafür, dass Mädchen ihren Eltern gehorchten und keine Männer verführten. Außerdem würden unbeschnittene Frauen gesellschaftlich nicht akzeptiert.


Inserts informieren, dass Genitalverstümmelung in Äthiopien zwar seit 2007 verboten ist, praktiziert wird sie dennoch weiterhin. Gering ist auch das Strafausmaß mit drei Monaten bis drei Jahren, zudem gilt diese Tat nach drei Jahren als verjährt.


Detailreich schildert Sara, wie sie den Eingriff als Siebenjährige erlebte, keine Scheu hat auch die inzwischen alte Beschneiderin ihre Werkzeuge zu zeigen. Schuldgefühle kennt sie aber keine, hält sich aber mit ihren Aussagen wohl aufgrund des offiziellen Verbots zurück.


Diese ersten Begegnungen lassen Sara weiter nachforschen und der öffentlichen Meinung von Jüngeren zur Genitalverstümmelung nachspüren. Mit einem Menschenrechtsaktivisten – dem einzigen Mann, der im Film vorkommt – findet sie zwar auch einen entschiedenen Gegner der Beschneidung, Saras Jugendfreundin und Cousine erklären dagegen, stolz auf ihre Beschneidung zu sein.


Schritt für Schritt deckt "Do You Remember Me?" auf, wie tief verwurzelt der Glaube an die Wichtig- und Richtigkeit der Beschneidung in der äthiopischen Gesellschaft ist. So geht mit dieser Erkenntnis auch eine Entwicklung Saras einher, die bald nicht mehr nur zu ihrem persönlichen Schicksal recherchiert, sondern zunehmend aktiv wird, um ein Umdenken herbeizuführen. Dazu besucht sie auch in eine Schulklasse, in der sie Mädchen zu ihrer Beschneidung befragt und ermuntert, ihren zukünftigen Kindern das zu ersparen.


Gleichzeitig gelingt es ihr aber auch mit der Aufarbeitung ihrer traumatischen Erfahrung schließlich abseits der Kamera mit ihrer Mutter das Thema aufzuarbeiten, das Trauma zu überwinden und zu einem selbstbewussten Leben zu finden.


Etwas zu rund ist diese Entwicklungsgeschichte und der Glaube, dass man alles schaffen könne, wenn man auf die eigene Stärke vertraut. Wenig aufregend ist auch die filmische Gestaltung, andererseits gelingt es Pomper / Müller / Temel gerade mit der Fokussierung auf Sara Aduse, die ihre Erfahrungen auch im Buch "Ich, die Kämpferin" verarbeitet hat, am Einzelschicksal eindrücklich und plastisch Einblick in die physischen und psychischen Folgen einer Genitalverstümmelung, die Schwierigkeit das Trauma zu überwinden und die tiefe Verwurzelung dieses Verbrechens in der afrikanischen Tradition zu bieten: Ein Film, der genau hinschaut, wo man sonst lieber wegschaut, und in ruhiger Erzählweise großes Unrecht aufdeckt und leise, aber entschieden zum Kampf dagegen aufruft.



Do You Remember Me? Schweiz 2022 Regie: Désirée Pomper, Helena Müller mit: Sara Aduse Länge: 83 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Do You Remember Me?"


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