Radu Jude mischt in seiner in Locarno mit dem Spezialpreis der Jury ausgezeichneten Satire einen grimmigen Blick auf die rumänische Gegenwart mit einem Dialog mit der kommunistischen Ära, einer Kritik an der Ausbeutung durch westliche Konzerne und einer Fülle von Zitaten zu einem 163-minütigen, das Publikum fordernden Brocken von einem Film.
Nach seinem teilweise anstrengenden Berlinale-Sieger "Bad Luck Banging or Loony Porn" legt Radu Jude mit "Do Not Expect Too Much from the End of the World" nach. Auf einen etwa zweistündigen ersten Abschnitt, der den Titel "Angela – Diskussion mit einem rumänischen Film von 1981" trägt, lässt der Rumäne dabei unter der Kapitelüberschrift "Ovidiu – Rohmaterial" einen rund 30-minütigen zweiten Teil folgen.
Der erste Teil spannt sich über einen ganzen Tag und ist von atemloser Hektik bestimmt. Er setzt mit dem Erwachen der Produktionsassistentin Angela (Ilinca Manolache) um 5.50 Uhr ein und folgt ihr auf Schritt und Tritt bei ihren Treffen mit Opfern von Arbeitsunfällen, die sie für einen österreichischen Firmeneigentümer für einen Werbespot für Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz casten soll.
Die in schmutzigem Schwarzweiß gedrehten Szenen, die bei den Autofahrten von aggressiver Musik begleitet werden, geben dabei mit den Fahrten durch Bukarest und in heruntergekommene Viertel auch einen Eindruck von den Lebensverhältnissen im heutigen Rumänien. Gleichzeitig kommentiert die Protagonistin selbst über ihren sexistischen Avatar Bobita in farbigen Instagram-Videos mit vulgären und rassistischen Posts die aktuelle Situation und die gesellschaftliche Stimmung in Rumänien.
Dazu kommt als weitere Ebene Lucian Bratus Spielfilm "Angela merge mai departe" ("Taxifahrer Angela", 1981), aus dem immer wieder Szenen eingeschnitten werden. Dem grauen Bukarest, den überfüllten Straßen und der Hektik der Gegenwart wird so die in warme Brauntöne getauchte und von süßlicher Musik untermalte, zumindest auf den ersten Blick ziemlich beschauliche Welt der kommunistischen Ära gegenübergestellt. Gleichzeitig kann man darin aber auch eine Kritik an dem verklärenden Gesellschaftsbild sehen, das in diesem Spielfilm gezeichnet wurde.
Doch damit gibt sich Jude noch nicht zufrieden, sondern er lässt seine Protagonistin beim Besuch eines Unfallopfers auch auf die Schauspielerin der Taxifahrerin im Spielfilm treffen. Eine weitere Verbindung zwischen beiden Ebenen wird dadurch hergestellt, dass sich sowohl die Taxifahrerin im historischen Spielfilm als auch die heutige Produktionsassistentin 15 oder 16 Stunden am Tag abrackern müssen, dafür aber kaum entlohnt werden.
Aber auch, wie sich das Stadtbild von Bukarest verändert hat, macht Jude deutlich, wenn er einer Taxifahrt zum Stadtviertel Uranus im alten Spielfilm eine heutige Fahrt durch diese Gegend, in der die Häuser dem Palast Ceausescus weichen mussten, gegenüberstellt.
Doch nicht nur zu möglichen Protagonisten für den Werbespot führt Angela die Fahrt. Denn gleichzeitig muss sie sich auch damit beschäftigen, dass die Gräber ihrer Angehörigen verlegt werden, da sie die BewohnerInnen einer neuen Wohnanlage stören, und in einem Filmstudio trifft sie auf den – realen - deutschen Trashfilm-Regisseur Uwe Boll, der einen Insekten-Horrorfilm dreht.
Per Zoom-Konferenz werden auch der österreichische Firmenchef, dessen Name Hans Frank auf einen 1946 hingerichteten nationalsozialistischen Politiker verweist, und dessen Marketing-Chefin (Nina Hoss), die sich als Nachfahrin Goethes vorstellt, zugeschaltet. Klar macht der Chef dabei, dass mit dem Spot durch Nahaufnahmen Emotionen ausgelöst werden sollen, während der rumänische Regisseur doch in einer einzigen distanzierten Plansequenz filmen wollte.
Diese bekommen die Zuschauer:innen dann im zweiten Teil präsentiert, in dem der Werbespot gefilmt werden soll. Doch sukzessive wird dabei der Text des Unfallopfers gekürzt und alles herausgeschnitten, was dem Image der Firma schaden könnte, sodass letztlich nur noch eine stumme Aufnahme bleibt, die bei der Postproduktion nach Belieben vertont werden kann. Wie in seinem Spielfilmdebüt "The Happiest Girl in the World" (2009) dekonstruiert Jude so auch hier solche Werbespot-Dreharbeiten.
Dazu kommt auf sprachlicher Ebene aber noch eine Fülle an Zitaten von Alexander Kluge bis Karl Marx. Auf den Ukraine-Krieg und den Regierungsantritt von König Charles wird ebenso Bezug genommen wie auf den assistierten Suizid Jean-Luc Godards und auch die Inszenierung in den Dokumentarfilmen der Brüder Lumière und Chaplins x-fache Wiederholung einer Großaufnahme in "City Lights" wird thematisiert. Aber auch an die Nazi-Vergangenheit Österreichs, Kurt Waldheims Präsidentschaft und Thomas Bernhards "Heldenplatz" wird erinnert.
Ein grimmiger Rundumschlag ist dieser Film, passt in keine Schublade entwickelt aber nicht zuletzt durch die mit vollem Einsatz agierende Hauptdarstellerin Ilinca Manolache beträchtlichen Sog und lässt Judes Wut über die Auswirkungen des Turbo-Kapitalismus von rumänischen Missständen bis zur Ausbeutung seines Heimatlandes durch den Westen immer wieder spüren.
Do Not Expect Too Much from the End of World – Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt Rumänien / Schweiz / Kroatien / Luxemburg Regie: Radu Jude mit: Ilinca Manolache, Nina Hoss, Ovidiu Pîrşan, Dorina Lazăr, Katia Pascariu, Uwe Boll, Ada Dumitru, Serban Pavlu, Adrian Nicolae, Ioana Iacob, Katia Pascariu Länge: 163 min.
Läuft derzeit im Kinok St. Gallen und heute (11.3.) um 20 Uhr und am Mittwoch, den 13.3. um 18 Uhr in der Kinothek Lustenau.
Trailer zu "Do Not Expect Too Much From the End of the World - Erwarte nicht zu viel vom Ende der Welt"
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