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AutorenbildWalter Gasperi

Die Zeit der Wölfe - The Company of Wolves

Neil Jordan erzählt in seiner "Rotkäppchen"-Variation visuell aufregend und vielschichtig vom sexuellen Erwachen eines Mädchens. – Der 1984 entstandene Mix aus Märchen- und Horrorfilm ist bei Pandastorm Pictures in einem Mediabook mit umfangreichen Extras auf 4K Ultra HD und Blu-ray erschienen.


Neil Jordan interessiert sich bei seiner Adaption der Kurzgeschichten "Der Werwolf" und "Die Gesellschaft der Wölfe" der britischen Autorin Angela Carter vor allem für den tiefenpsychologischen Aspekt des "Rotkäppchen"-Stoffes. Setzt sein Film noch in der Gegenwart mit der Ankunft eines Ehepaars in einem englischen Landhaus ein, so taucht er mit dem Traum der jüngeren Tochter Rosaleen (Sarah Patterson), die sich in ihr Zimmer zurückgezogen hat, in eine Traum- und Märchenwelt ab.


Während Puppen noch auf ihre Kindheit verweisen, deutet der grell rot geschminkte Mund schon auf die Pubertät hin. Je heftiger ihre ältere Schwester an Rosaleens Zimmertür klopft und sie auffordert, zu ihrer Mutter nach unten zu kommen, desto mehr flieht sie in ihre Träume. Mit einem Blick durchs Fenster auf den dunklen Wald am Horizont, leitet Jordan diese Binnenerzählung ein, wird aber mehrmals kurz ins Kinderzimmer zurückblenden.


Mit diesem Traum taucht Rosaleen in ein bäuerliches Dorf des 17. Jahrhunderts ein, in dem sich mit Figuren aus dem Kinderzimmer aber auch wieder Elemente der Realität finden. Im Traum erfüllt sich aber wohl auch ein Wunsch der 13-Jährigen, wenn die ältere Schwester, die sie in der Realität nervt, von einem Wolf getötet und nun begraben wird.


Um die trauernde Mutter zu entlasten, nimmt die Großmutter (Angela Lansbury) Rosaleen für einen Tag zu sich. Diese warnt ihre Enkelin eindringlich nicht nur davor, im Wald den Weg nie zu verlassen oder einem Fremden zu folgen, sondern erzählt ihr auch eine Werwolf-Geschichte, die dem Teenager Angst vor Männern machen soll.


Aber nicht nur die Großmutter erzählt innerhalb des Traums Geschichten, sondern auch Rosaleen erzählt ihrer Mutter eine Geschichte über eine Frau, die von einem vornehmen Mann verraten wurde und die ihn deshalb bei seiner Hochzeit mit der gesamten Festgesellschaft in Wölfe verwandelte.


So handelt "Die Zeit der Wölfe" im Kern auch vom Erzählen an sich und variiert am Ende die Geschichte von "Rotkäppchen", wenn Rosaleen den Jäger, hinter dem sich ein Wolf verbirgt, nicht tötet, sondern dieser Jager sich vielmehr selbst in einen Wolf verwandelt und in die Wildnis flieht. Dabei scheint aber auch der Traum in die Realität einzubrechen, wenn Wölfe durch das Fenster ins Kinderzimmer eindringen und mit der Verwüstung des Kinderzimmers das Ende der Kindheit signalisieren.  


Zur märchenhaft-gruseligen Geschichte haben Jordan und sein Kameramann Bryan Loftus auch den richtigen Look gefunden. In den Shepperton-Studios haben sie zusammen mit den Production-Designern Stuart Rose und Anton Furst eine echte Märchenwelt mit Dorf und Wald geschaffen, in der Nebelschwaden und die Allgegenwart von Tieren wie Fröschen, Schlangen, einem Igel, einem Kauz oder einem Storch eine beunruhigende Atmosphäre erzeugen.


Der Traum- und Märchencharakter wird zudem verstärkt durch einen anachronistischen Bruch, wenn plötzlich ein eleganter Herr im weißen Rolls Royce durch den Wald fährt. Dazu kommen aber auch die ganz in der Genre-Tradition inszenierten Werwolf-Verwandlungen, die Horrorstimmung aufkommen lassen, und für einen starken Gegenpol zur biederen Großmutter, die mit Angela Lansbury ideal besetzt ist, sorgen.


Gleichwohl betreibt Jordan keine Verteufelung der Wölfe, sondern zeigt vielmehr, wie sich Rosaleen davon angezogen fühlt. und lässt auch deren Mutter feststellen, dass wohl auch in den Frauen ein wildes Tier stecke.


Mit seinen zahlreichen Anspielungen auf Märchen- und Horrormotive ebenso wie auf die Bibel, die mit einem Pfarrer ins Spiel kommt, bietet "Die Zeit der Wölfe" ein zeitloses und aufregendes Kinoabenteuer. Darüber hinaus sorgt die Verknüpfung der äußeren Handlung mit dem von Ängsten ebenso wie von Begierden bestimmten sexuellen Erwachen der von Sarah Patterson sehr sinnlich gespielten Rosaleen für eine inhaltliche Fülle, die auch bei mehrmaligem Sehen immer wieder neue Entdeckungen und Sichtweisen ermöglicht.


An Sprachversionen bieten die bei Pandastorm Pictures in einem Mediabook erschienene 4K Ultra HD und Blu-ray die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie deutsche Untertitel. Als Extras gibt es neben einem Audiokommentar von Neil Jordan und einem Audiokommentar mit Produzent Chris Brown und den Schauspieler:innen Micha Bergese und Kathryn Pogson unter dem Titel "Alice im Wunderland" ein Interview mit der Schauspielerin Georgia Slowe. Dazu kommen das Feature "Wo Märchen enden" über die Filmmusik von George Fenton, der originale Kinotrailer, ein TV-Spot und eine Bildergalerie sowie ein Booklet mit einem Essay des Filmwissenschaftlers Marcus Stiglegger.


Trailer zu "Die Zeit der Wölfe"



 

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