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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm


George Pal und Henry Levin verbinden ein Porträt der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm mit drei Märchen Wilhelms: Der visuell prächtige, flott erzählte und verspielte Familienfilm, der auch durch das extrabreite dreistreifige Cinerama-Format begeistert, ist bei Plaion-Pictures in großartig restaurierter Fassung in zwei Formatversionen auf Blu-ray erschienen.


Schon der Einstieg mit langer Ouvertüre zu Schwarzfilm stimmt auf ein großzügiges Kinoerlebnis ein. In der Mitte des knapp 138-minütigen Films werden eine Pause und am Ende eine lange Schlussmusik folgen. Opulenz und Pracht evozieren aber auch gleich die ersten Bilder des 1962 in Cinerama gedrehten Films. Mit drei synchron laufenden 35mm-Kameras wurde hier einerseits die Handlung aufgenommen und sollte auch über drei Projektoren abgespielt werden. Nur wenige Kinos waren freilich mit dieser Technik ausgestattet.


Mit einer kurzen Szene einer Schlacht der Napoleonischen Zeit wird der weltpolitische Hintergrund vermittelt, ehe die Handlung in eine verschlafene deutsche Kleinstadt des frühen 19. Jahrhunderts wechselt. Hier arbeiten die Gebrüder Jakob (Karlheinz Böhm) und Wilhelm Grimm (Laurence Harvey) an der Familiengeschichte des Herzogs, doch Wilhelm Grimm interessiert sich mehr für Märchen, die er sich beispielsweise von einer Rosenverkäuferin erzählen lässt.


So putzig das Städtchen des Films, der unter anderem in Rothenburg ob der Tauber und Dinkelsbühl sowie bei Schloss Neuschwanstein gedreht wurde, mit Schloss, Fachwerkhäusern und lieblichen Gassen ist, so familiengerecht und kindertauglich ist auch die Erzählweise. Echte Konflikte gibt es kaum, märchenhaft wirken nicht nur die eingebetteten Erzählungen, sondern auch die Haupthandlung, in der das Porträt der unterschiedlichen Brüder gezeichnet wird.


Prägnant wird dabei dem nüchternen und wortkargen Jakob Grimm, der Berühmtheit als Sprach- und Rechtswissenschaftler erlangte, der verträumte Wilhelm Grimm gegenübergestellt. Während der eine die Arbeit an der Familiengeschichte des Herzogs ernst nimmt, hängt der andere immer seinen Märchen nach.


Ganz der Wissenschaft scheint sich Jakob verschrieben zu haben, bis es dem Buchhändler Stossel (Walter Slezak) und Wilhelm doch gelingt, dessen Interesse für die aus Berlin angereiste Greta Heinrich (Barbara Eden) zu wecken. Wilhelm dagegen ist verheiratet und Vater von zwei Kindern, denen er als Gute-Nacht-Geschichte das Märchen "Die tanzende Prinzessin" erzählt. Weitere Binnenerzählungen kommen im Laufe des Films mit dem Märchen "Der Schuster und die Zwerge", das Wilhelm Kindern in der Buchhandlung erzählt, sowie "Der singende Knochen", mit dem eine alte Frau Kinder in ihrem Haus im Wald fesselt, dazu.


Mit Liedern und Tanz findet sich in diesen Geschichten auch ein Musical-Element, gleichzeitig kann George Pal, der die Märchen inszenierte, während Henry Levin die Regie der Rahmenhandlung übernahm, hier seiner Fabulierfreude und Lust an Special-Effects freien Lauf lassen.


So gibt es in "Die tanzende Prinzessin" eine in leuchtende Farben getauchte Tanzszene im Wald, auf die eine spektakuläre Kutschenfahrt zum Schloss folgt. Diese breit ausgespielten Szenen sind auch sichtlich darauf angelegt, die Stärken des Cinerama-Formats zur Geltung zu bringen. In "Der Schuster und die Zwerge" kann dagegen lustvoll die Stop-Motion-Technik eingesetzt werden, wenn die Zwerge heimlich nachts die Schusterarbeit vollenden, und in "Der singende Knochen" gibt es einen herrlich witzigen, nie bedrohlichen, feuerspeienden Drachen.


Genüsslich werden aber auch die Autoritäten, von denen Wilhelm im realen Leben nicht viel hält, auch in den Märchen durch den Kakao gezogen. Da setzt sich nämlich ein gewiefter Jäger gegen einen trotteligen König durch, der ständig mit Enthauptung droht, der Schuster kann die pingeligen Herrschaften mit seinen perfekten und zeitgerecht fertiggestellten Schuhen erfreuen, und ein geschundener und drangsalierter Knappe trägt schließlich den Sieg über seinen feigen und hinterhältigen Herrn davon.


Von Realismus ist dieser Film freilich auch in der Rahmenhandlung weit entfernt. Auch diese wird auf die Märchenebene gehoben, wenn Wilhelm am Ende mit "Es waren einmal zwei ungleiche Brüder" zu erzählen beginnt.


Statt auf Tiefgang liegt der Fokus so auf Schauwerten und Fabulierfreude, sodass "Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm" mit seiner leichthändigen Erzählweise, der prächtigen Ausstattung und den intensiven Farben, die diese restaurierte Fassung so richtig zum Leuchten bringt, auch mehr als 60 Jahre nach der Uraufführung immer noch unbeschwerte Unterhaltung für die ganze Familie bietet.


Die bei Plaion Pictures erschienenen zwei Blu-ray bieten einerseits die "flache" Letterboxed-Version und andererseits die Smilebox-Version, die den Eindruck von Vorführungen in Kinos mit Cinerama-Projektor und gebogener Cinerama-Leinwand imitiert. An Sprachversionen verfügt die Veröffentlichung über die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie Untertitel in diesen beiden Sprachen.


Die Extras umfassen ein sehr informatives 45-minütiges Feature über die aufwändige Restaurierung der Cinerama-Fassung, sowie Featurettes über den Cinerama-Pionier William R. Forman, über Regisseur George Pal, das ausführlich die Entstehung von "Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm" und dessen Special Effects beleuchtet, sowie über die visuelle Kraft verschiedener Plakate zu diesem Film. Dazu kommen Radiointerviews mit den Schauspieler:innen Russ Tamblyn und Yvette Mimieux, eine Bildergalerie und diverse Trailer zum Film.


Trailer zu "Die Wunderwelt der Gebrüder Grimm"



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