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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die unvergleichliche Magie des Kinos


The Purple Rose of Cairo (Woody Allen, 1984)

Nach der monatelangen Kinoschließung wegen Covid-19 startet das Berner Kino Rex mit einer Filmreihe, die einerseits die Leidenschaft für und die prägende Kraft von Kinoerlebnissen feiert, andererseits aber auch wehmütig vom Verschwinden von Kinos erzählt.


Die Intensität eines Kinoerlebnisses beschwören meisterhaft Buster Keaton in "Sherlock Jr." (1924) und Woody Allen in "The Purple Rose of Cairo" (1984). Träumt sich im ersten Keaton als Filmvorführer in eine Filmhandlung, in der er als Meisterdetektiv einen Verbrecher entlarvt, so schwärmt bei Allen eine einfache Verkäuferin so leidenschaftlich für einen Filmhelden, dass dieser von der Leinwand heruntersteigt und sich Realität und Schein aufs schönste vermischen.


Während Keaton mit zahlreichen Tricks und Stunts lustvoll die Möglichkeiten des Kinos demonstriert und raffiniert über Film und Fantasie reflektiert, geht es bei Allen in seiner in der Zeit der Großen Depression spielenden Tragikomödie auch darum, wie das Kino mit seinen Traumwelten in dunklen Zeiten und bedrückenden Verhältnissen einen Fluchtpunkt darstellen und Stunden des Glücks und der Erlösung bescheren kann.


Gerade die Zeit des Umbruchs zum Tonfilm scheint sich dabei immer wieder zur rückblickenden Reflexion übers Kino und dessen Magie anzubieten. Eines der schönsten Musicals der Filmgeschichte gelang so Stanley Donen und Gene Kelly mit "Singin´ in the Rain" (1952), in dessen Zentrum der Niedergang einer Stummfilmdiva und der Aufstieg einer Nachwuchstänzerin steht. Donen / Kelly arbeiten mit diesem Film nicht nur ein Stück Filmgeschichte auf, sondern mit der schwungvollen und leichthändigen Inszenierung, bei der Songs und Tanzszenen souverän in die Erzählung integriert sind, feiern sie auch mitreißend die Kraft von Filmen.


Eine große Hommage an den Stummfilm gelang 2011 Michel Hazanavicius mit seinem mit fünf Oscars ausgezeichneten "The Artist" (2011). Hazanavicius drehte nicht nur in Schwarzweiß und im klassischen 4:3-Format, sondern verwendete statt Dialogen auch Zwischentitel. Wenn der Film mit einer Film-im-Film-Szene einsetzt, deren Wirkung mit einem Gegenschnitt auf das Publikum im prächtigen Kinosaal vermittelt wird, wird ein Diskurs über die Magie des Kinos eröffnet, der sich durch den ganzen Film fortsetzt.


So wird nämlich nicht nur im Eingang des fiktiven Kinograph-Studios das legendäre Portal der Paramount variiert, sondern Hazanavicius setzt auch Kreisblenden ein wie in Stummfilmzeiten, arbeitet mit brillanten Montagesequenzen zur Verkürzung von Handlungsabläufen und zitiert lustvoll, aber nie aufdringlich aus der Filmgeschichte. Der Plot mit den gegenläufigen Karrieren eines verblassenden Stummfilmstars und einer aufsteigenden Statistin orientiert sich unübersehbar an "A Star is Born", die Montagesequenz mit der zunehmenden Entfremdung des Ehepaars am Frühstückstisch ist eine Hommage an die parallele Szene in Orson Welles´ "Citizen Kane", in einer Film-im-Film-Szene erweist er Fred Niblos "The Mark of Zorro" seine Reverenz, das den Stummfilmstar stets begleitende Filmhündchen, das sich bei jedem mit dem Zeigefinger angedeuteten Schuss tot stellt, erinnert an die "The Thin Man"-Reihe und den treuen Chauffeur, den Valentine auch in der Krise nicht entlassen will, hat Hazanavicius wohl von der Rolle von Erich von Stroheim in Billy Wilders "Sunset Boulevard" übernommen. Und wie dort die gefallene Norma Desmond schaut hier der zunehmend dem Alkohol verfallende Protagonist in einem zum Kino umfunktionierten Zimmer seine einstigen Filme an.


In den Pariser Frühling von 1968 entführt dagegen Bernardo Bertolucci in "The Dreamers" (2003), in dem der Italiener vor dem Hintergrund der Studentenunruhen nicht nur von einer inzestuösen ménage á trois, sondern auch, sichtlich von autobiographischen Filmerfahrungen geprägt, von der Liebe zum Kino erzählt. Denn der junge Amerikaner, der hier in die französische Hauptstadt kommt, interessiert sich weder fürs Studieren noch für die Politik, sondern sitzt lieber in der Cinémathèque francaise und begeistert sich für Sam Fullers "Shock Corridor" und Nicholas Rays "Johnny Guitar". Elegant kombiniert Bertolucci auch klassische Szenen aus Godards "A bout de souffle", dem Garbo-Film "Queen Christina" und Josef von Sternbergs "Blonde Venus" mit der Filmhandlung oder zitiert mit einem Wettlauf durch den Louvre Godards "Bande à part", bis am Ende doch die politische Aktion ins Zentrum rückt.


Ganz anders von der Sprengkraft des Kinos erzählt Quentin Tarantino in "Inglourious Basterds" (2009). Hier ist ein Pariser Kino nicht nur der Ort, in dem die Massen mit einem NS-Propagandafilm indoktriniert werden sollen, sondern in dem auch die gesamte Nazi-Führungsriege eliminiert werden kann, zeigt aber auch die Gefahren auf, die das leicht brennbare Filmmaterial mit sich bringt. Lustvoll kann hier auch Tarantino seiner Filmleidenschaft frönen und schon mit der ersten Kapitelüberschrift "Once upon a time …in Nazi occupied France" auf Sergio Leones legendären "Once Upon a Time in the West" ("Spiel mir das Lied vom Tod") anspielen und später den klassischen Bergfilm "Die weiße Hölle vom Piz Palü" und Henri-Georges Clouzots Thriller "Le corbeau" zitieren.


Peter Bogdanovich verbindet dagegen in "The Last Picture Show" (1971) die Anfang der 1950er Jahre spielende Geschichte vom Ende der Jugend und dem Anbruch des Erwachsenenalters in einer öden texanischen Kleinstadt mit der Schließung eines Kinos, das für die Jugend zu den zentralen Treffpunkten zählt, das aber aufgrund des aufkommenden Fernsehens unter massivem Besucherrückgang leidet. Nicht nur mit der Entscheidung 1971 in Schwarzweiß zu drehen, sondern auch mit der formalen Orientierung an den Filmen der 1950er Jahre wird dieses Meisterwerk des New Hollywood zu einer wehmütigen Reminiszenz an eine vergangene Kinozeit, an die auch mit Ausschnitten aus Klassikern wie Vincente Minnellis "Father of the Bride" oder Howard Hawks´ "Red River" erinnert wird.


Von der Schließung und der Umwandlung in ein Kaufhaus bedroht ist auch das Kino einer italienischen Provinzstadt in Ettore Scolas "Splendor" (1989). In zahlreichen Rückblenden erinnert Scola mit Ausschnitten aus Klassikern von Fritz Langs "Metropolis" über die Meisterwerke des Neorealismus bis zu Ingmar Bergmans "Wilde Erdbeeren" und Francois Truffauts "La nuit americaine" an die Glanzzeiten des Kinos und lässt auch das abgewanderte Publikum schließlich gegen den unmittelbar bevorstehenden Abriss aufbegehren und das scheinbar Unabwendbare verhindern.


Mögen so diese Filme und auch die britische Komödie "The Smallest Show on Earth" (1957) von Krisen des Kinos erzählen, sie feiern doch gleichzeitig immer die mit nichts zu vergleichende Magie, die von diesem Ort des gemeinschaftlichen Erlebens von Träumen und Sehnsüchten ausgeht. Sie rufen Erinnerungen an große Kinoerlebnisse wach und machen anschaulich und eindringlich bewusst, dass Fernsehen und Streaming nie diese Erfahrungen ersetzen werden können.


Spieldaten und Filmbeschreibungen finden Sie auf Kino Rex Bern.


(Französischer) Trailer zu "Splendor"



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