Die Chilenin Maite Alberdi begleitet in ihrem für den Oscar nominierten Dokumentarfilm behutsam die liebevolle Fürsorge Paulina Urrutias für ihren an Alzheimer erkrankten Mann Augusto Góngora, streicht mit Ausschnitten aus Góngoras Dokumentationen zur Pinochet-Diktatur aber auch eindrücklich die Bedeutung kollektiver Erinnerung heraus.
Als TV-Journalist dokumentierte der Chilene Augusto Góngora die Verbrechen des Pinochet-Regimes und im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Sammelbands "Chile: Die verbotene Erinnerung", an dem er als Mitautor beteiligt war, wies er eindringlich auf die Bedeutung der Erinnerung an die Zeit der Diktatur hin. Denn ohne Erinnerung, gebe es keine Identität.
Doch seit 2014 leidet dieser Kämpfer gegen das Vergessen selbst an Alzheimer. Liebevoll kümmert sich die Schauspielerin Paulina Urrutia, die von 2006 bis 2010 auch chilenische Kulturministerin war, zwar um ihren Mann, mit dem sie seit den späten 1990er Jahren zusammen ist und den sie drei Jahre nach der Alzheimer-Diagnose heiratete, doch manchmal spürt man auch ihre Hilflosigkeit und Verzweiflung. Wenn Augusto selbst sie nicht mehr erkennt, bricht auch sie in Tränen aus. Manchmal erkennt der am 19. Mai 2023 im Alter von 71 Jahren verstorbene Ehemann aber sogar sich selbst nicht mehr im Spiegelbild.
Dokumentierte zunächst – und dann wieder während der Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie - Paulina selbst die Krankheit ihres Mannes, so kam dazwischen die Filmemacherin Maite Alberdi dazu. Paulinas leicht unscharfen Bildern stehen so die sorgfältigen Einstellungen Alberdis gegenüber, gemeinsam ist aber allen Szenen, dass der Blick von größtem Feingefühl und Empathie bestimmt ist, sodass nie das Gefühl von Voyeurismus aufkommt.
Zeit lässt sich die Regisseurin dabei für die aufopferungsvolle Pflege Paulinas und immer wieder für liebevolle Berührungen. Sie zeigt das Paar aber auch bei Spaziergängen und Fitnessübungen oder bei Paulinas unermüdlichen Versuchen, Augustos Gedächtnis mit Fotos und Hinweisen auf seine Kinder, Geschwister und Freunde anzuregen.
Weniger ein Film über Alzheimer als vielmehr über eine große Liebe ist "Die unendliche Erinnerung" so, dokumentiert aber zwangsläufig auch den fortschreitenden Verfall Augustos, wenn diesem beispielsweise die Bücher, die er im Laufe seines Lebens gesammelt hat und die ihm immer so wichtig waren, zunehmend fremd werden.
Doch dazwischen gibt es auch immer wieder lichte Momente, in denen die Erinnerung klar ist und die Gedanken auch an seine Arbeit während der Diktatur Pinochets zurückgehen. So arbeitet Alberdi in die Gegenwartsebene einerseits Home-Movies aus den 1980er und 1990er Jahren, aber auch Ausschnitte aus TV-Reportagen Augustos ein.
Während die Home-Movies mit dem jungen Mann und seinen kleinen Kindern, einer Reise nach Patagonien oder vom Bau des Eigenheims im Kontrast zur Gegenwart eindrücklich an das Altern und die Hinfälligkeit des menschlichen Körpers erinnern, bieten die TV-Berichte, die Augusto in den letzten Jahren der Diktatur für die illegale Nachrichtensendung „Teleanalisis“ drehte, einen Einblick in sein Engagement, aber auch in den Terror des Pinochet-Regimes.
So fließt in feinfühliger Montage sehr Privates und Politisches zusammen. In der gegenläufigen Bewegung von Augustos Kampf um persönliche Erinnerung bei fortschreitendem Gedächtnisverlust und politischer Erinnerungsarbeit macht "Die unendliche Erinnerung" dabei ganz im Sinne seines Protagonisten die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit bewusst und stellt dem Vergessen eindrücklich die Aufarbeitung der Zeit der Diktatur als Voraussetzung für eine positive Gegenwart und Zukunft gegenüber.
Die unendliche Erinnerung – La memoria infinita Chile 2023 Regie: Maite Alberdi Dokumentarfilm mit: Augusto Góngora, Paulina Urrutia Länge: 85 min.
Läuft derzeit in den österreichischen Kinos. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: 26.5., 27.5., 30.5.
Trailer zu "Die unendliche Erinnerung - La memoria infinita"
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