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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die Nachbarn von oben


Ein Paar, das in einer Beziehungskrise steckt, lädt die neuen Nachbarn, die mit ihrem lustvollen Liebesspiel immer wieder die Nachtruhe stören, zum Apéro ein: Sabine Boss´ kompaktes Kammerspiel unterhält mit einem bestens harmonierenden Ensemble, pointierten Dialogen und überraschenden Wendungen.


Während Tom (Roeland Wiesnekker) am Konservatorium einen Test abhält, bereitet seine Frau Anna (Ursina Lardi) zuhause Häppchen und Getränke vor. Schon beim Vorspann akzentuiert der treffsichere Schnitt von Stefan Kaelin die parallelen Handlungen – und der Schnitt ist eine entscheidende Qualität des ganzen Films.


Gut kann man sich nämlich den sich auf diesen Abend beschränkenden und weitgehend in der Wohnung von Anna und Tom spielenden Film, der ja auch auf Cesc Gays Theaterstück "Los Vecinos de Arribabe" beruht, auf einer Bühne vorstellen, doch der Schnitt löst diese Statik auf. Der Gesamtansicht beim Theater steht hier die wechselnde Fokussierung auf die einzelnen Protagonist:innen gegenüber und mit zahlreichen Großaufnahmen, die immer wieder in den Gesichtern des Paares und ihrer beiden Gäste Lisa (Sarah Spale) und Salvi (Max Simonischek) lesen lassen, dynamisieren Boss und Kaelin die Handlung nicht nur, sondern verleihen ihr mit dem richtigen Timing des Schnitts auch zusätzlich Pfiff.


Zum Streit zwischen Anna und Tom kommt es dabei schon, als er nach Hause kommt. Verärgert ist er darüber, dass Anna die Nachbarn eingeladen hat. Schon will man sie wieder ausladen, doch dazu ist es zu spät, denn sie stehen schon vor der Tür.


Nichts läuft mehr in der Beziehung von Anna und Tom, die seit 20 Jahren ein Paar sind. Er ist immer missmutig, kritisiert seine Frau, die als Illustratorin von Kinderbüchern arbeitet, nur oder nimmt sie überhaupt nicht wahr.


Ganz anders schaut das dagegen bei Lisa und Salvi aus, die erst seit zwei Jahren zusammen sind. Geradezu neidisch ist Anna auf den ebenso lustvollen wie lauten Sex, der nachts immer wieder ihren Schlaf stört. Ansprechen will sie das Thema aber an dem Abend nicht. Das ist aber auch gar nicht nötig, denn die Gäste kommen bald selbst darauf zu sprechen und machen Anna und Tom ein ziemlich frivoles Angebot.


Ein Antagonismus stellt sich vor allem zwischen dem frustrierten und aggressiven Tom und dem Feuerwehrkommandanten Salvi ein. Während der eine nur herumnörgelt, gibt sich der andere locker und zeigt durchaus auch Interesse an Anna. Psychologin Lisa erscheint dagegen als Beobachterin und Vermittlerin, die immer wieder Tipps zum Umgang mit der Beziehungskrise gibt.


Sabine Boss und Drehbuchautor Alexander Seibt, die die schon zweimal verfilmte Vorlage ("Sentimental", Cesc Gay, 2020; "Vicini di casa", Paolo Costello, 2022) gekonnt ins bürgerliche Schweizer Milieu verlegen, treiben die Handlung mit pointierten Dialogen und überraschenden Wendungen rasant voran. Vor allem am Ende mögen diese Umschwünge zwar zu abrupt kommen, aber dennoch entwickelt sich ein dichtes Kammerspiel, das vom vermeintlich gemütlichen Abendessen bald in eine Paartherapie kippt, in deren Verlauf Frustrationen und verpasste Chancen zu Tage treten. Nach lockerem Beginn schlägt "Die Nachbarn von oben" damit zunehmend ernstere Töne an.


Vertrauen kann Boss dabei auch auf ihr bestens harmonierendes und mit sichtlicher Spielfreude agierendes Schauspielerquartett. Großartig ist Roeland Wiesnekker als Tom, der zunächst als unsympathischer Kotzbrocken erscheint, aber schließlich auch Einblick in seine Frustrationen bietet. Mit großer Zurückhaltung spielt dagegen Ursina Lardi, bei deren Anna man spürt, wie sehr sie das unbefriedigende Leben mit Tom zermürbt und wie sehr sie sich nach Lebensfreude sehnt, sich aber bislang noch nicht durchringen konnte, ihren Mann zu verlassen.


Treffender Gegenpol dazu sind die lockeren und offenen Gäste. Eine hinreißende Karikatur einer Psychologin ist Sarah Spales Lisa, die immer einen guten Tipp auf den Lippen hat. Ein gehöriges Maß Männlichkeit versprüht dagegen Max Simonischek als Salvi, der zwar nicht so gebildet ist wie der mit Fremdwörtern um sich werfende Tom, aber mit seinem Charme bei den Frauen zu landen scheint.


So offen und schlagfertig freilich über Sex geredet wird, so zurückhaltend bleibt der Film auf der visuellen Ebene. Denn wer hier Sexszenen erwartet, ist im falschen Film. Ganz von den Dialogen lebt "Die Nachbarn von oben", die kommen aber so rasant und treffsicher, dass die kompakten 88 Minuten wie im Flug vergehen und nicht nur viel zum Lachen bieten, sondern auch zum Nachdenken anregen können.


Die Nachbarn von oben Schweiz 2022 Regie: Sabine Boss mit: Sarah Spale, Ursina Lardi, Roeland Wiesnekker, Max Simonischek Länge: 88 min.



Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos, z.B. im Cineplexx Hohenems und in der Kinothek Lustenau


Trailer zu "Die Nachbarn von oben"







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