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Die My Love

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • vor 3 Stunden
  • 4 Min. Lesezeit
"Die My Love": Intensives Porträt einer Zerrissenen
"Die My Love": Intensives Porträt einer Zerrissenen

Mit einer elektrisierenden Jennifer Lawrence in der Hauptrolle gelingt Lynne Ramsay das intensive Porträt einer Frau, deren Zerrissenheit auch durch die furiose formale Gestaltung spürbar wird: Ein ebenso wilder wie mitreißender filmischer Ritt.


Während die meisten Regisseur:innen linear und leicht nachvollziehbar ihre Geschichten erzählen, gehört die Schottin Lynne Ramsay zweifellos zu jener kleinen Gruppe, die bei jedem Film mit ungewöhnlicher Erzählweise und eigenwilliger Bildsprache viel riskiert. Ein fragmentarisches Puzzle von Szenen fügte sich so in "We Need to Talk about Kevin" (2011) zur Geschichte eines jungen Amokläufers und auch das Porträt eines zerrissenen Mannes in "You Were Never Really Here" (2017) verstörte nachhaltig.


In der Verfilmung des Romans "Mátate, amor" der Argentinierin Ariana Harwicz lässt die 56-jährige Regisseurin schon mit den ersten beiden Szenen extreme Gegensätze aufeinanderprallen. In einer langen statischen und tiefenscharfen Einstellung blickt die Kamera von Seamus McGarvey in dem im engen 4:3-Format auf 35mm gedrehten Film zunächst von der Küche über das Wohnzimmer bis zur Veranda quer durch ein heruntergekommenes Haus.


Viel Zeit wird hier Grace (Jennifer Lawrence) und Jackson (Robert Pattinson) gelassen, um im Gespräch über ihre Berufe als Schriftstellerin bzw. als Musiker und über den Umstand zu informieren, dass sie dieses Haus von Jacksons Onkel Frank geerbt haben. Abrupt kippt die Stimmung aber mit einem Schnitt ins Gegenteil, wenn nun zu dröhnender Heavy-Metal-Musik mit stakkatoartigem Schnitt eine heftige Liebesszene folgt, die immer wieder von Bildern eines in Flammen aufgehenden Waldes unterbrochen wird.


Das Aufeinanderprallen solcher Gegensätze, das schon beim Titel mit der Opposition von "Tod" und "Liebe" beginnt, bestimmt "Die My Love" und kehrt die innere Zerrissenheit von Grace zwischen nicht erfüllter, grenzenloser Lebensgier und Zerstörungstrieb aufregend und intensiv nach außen. Keine stringente Geschichte erzählt Ramsay dabei, sondern reiht vielmehr fragmentarische Szenen ohne zwingende Kausalität aneinander, fügt ansatzlos auch wenige Rückblenden ein und lässt bei manchen Szenen offen, ob sie geträumt oder real sind.


Scheint das Paar zunächst glücklich, so wird dieses Glück durch die Geburt eines Babys mehr getrübt als gesteigert. Ob Grace an einer postnatalen Depression leidet oder ob es andere Gründe wie Langeweile und Einsamkeit aufgrund fehlender sozialer Kontakte im ländlichen Amerika für ihre zunehmende Labilität und psychische Krise gibt, lässt Ramsay offen.


Sie erklärt nicht, sondern beschränkt sich darauf die Zuschauer:innen unmittelbar an Graces Zerrissenheit teilhaben zu lassen. Bohrend schaut sie hin, wenn Grace sich selbst befriedigt oder einen mysteriösen Motorradfahrer, der mehrfach um das Haus kreist, sexuell provoziert, weil Jackson ihr unstillbares Verlangen nach Sex nicht mehr befriedigen will oder kann. Bald zerstört sie auch in einem Wutanfall das Badezimmer, dann stürzt sie sich wieder autoaggressiv durch eine Glastür.


Wie sehr sie mit ihrer Wildheit und Emotionalität außerhalb der gesellschaftlichen Norm steht, macht beim Besuch einer Babyparty die Kontrolliertheit und der Smalltalk der anderen Mütter sichtbar. In diese bürgerliche Mütter- und Frauenrolle will sie sich nicht einfügen, sondern kriecht bald wie ein Raubtier durch die hohe Wiese, greift dann zum Gewehr, um dem stets bellenden Hund Jacksons den Garaus zu machen. Statt Rationalität dominiert hier entfesselte, geradezu animalische Emotionalität.


Nicht verwundern kann so, dass eine Einlieferung in eine psychiatrische Klinik schließlich nicht ausbleibt. Doch diese Szene wird wieder von einem Heiratsantrag Jacksons und einer Hochzeitsfeier kontrastiert, bei der Grace aber bald wieder die Kontrolle über sich selbst verliert.


Aber nicht nur explosive und ruhige Szenen, die immer schon die Ahnung einer drohenden Explosion in sich tragen, prallen immer wieder aufeinander, sondern auch lichtdurchflutete Momente stehen nahezu in monochromes Grau getauchten, traumhaften Nachtszenen gegenüber und die häuslichen Szenen werden von Blicken auf die weiten, menschenleeren Felder des ländlichen Montana kontrastiert.


Intensiviert wird die furiose Bildsprache durch die Musik- und Tonmontage, bei der Babygeschrei und nervendes Hundebellen neben ruhigen Liebesliedern stehen. Da beschwört einerseits John Prines "In Spite of Ourselves" mit den Textzeilen "She's my baby, I'm her honey" die Zusammengehörigkeit von Jackson und Grace, andererseits bringt der dem Nachspann unterlegte Joy-Division-Song "Love Will Tear Us Apart", den Ramsay selbst singt, die Unmöglichkeit dieser Amour fou zum Ausdruck.


Das Ereignis von "Die My Love" ist aber zweifellos die schauspielerische Leistung von Jennifer Lawrence. Während Robert Pattinson mit seinem zurückhaltenden Spiel überzeugend die Hilflosigkeit und Überforderung von Jackson vermittelt, kennt Lawrence bei ihrer Verkörperung von Grace kein Halten und keine Grenzen, spielt exzessiv mit größtem Körpereinsatz und ohne Angst vor Hässlichkeit. Berührend ist es aber auch in Nebenrollen die beiden Altstars Sissy Spacek und Nick Nolte als Jacksons Eltern wieder einmal in einem Kinofilm zu sehen.


Keinesfalls ein leichter, sondern ein fordernder Film ist diese kompromisslos inszenierte Achterbahnfahrt extremer Emotionen, aber wer sich darauf einlässt wird mit einem lange nachwirkenden, wilden filmischen Ritt belohnt, der mitreißend das Porträt einer zutiefst zerrissenen Frau zeichnet, die auf dieser Welt ihr Glück wohl nicht finden wird.


Die My Love

Großbritannien / USA / Kanada 2025

Regie: Lynne Ramsay

mit: Jennifer Lawrence, Robert Pattinson, Sissy Spacek, Nick Nolte, LaKeith Stanfield, Gabrielle Rose

Länge: 118 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Cinema Dornbirn, Kinok St. Gallen und im Skino Schaan. TaSKino Feldkirch im Kino GUK: Fr 14.11. bis Mo 17.11.



Trailer zu "Die My Love"



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