Nach langen Ehejahren will ein Schweizer Paar die Pension gemeinsam genießen, doch bald treten unterschiedliche Lebensvorstellungen zu Tage: Die Inszenierung von Barbara Kulcsar mag sehr fernsehgemäß sein, doch Petra Volpes wendungsreiches Drehbuch und ein lustvoll aufspielendes Ensemble sorgen für temporeiche und leichthändig zwischen Drama und Komödie pendelnde Unterhaltung.
Das Büro wird aufgeräumt, mit Luftballon und mächtiger Whisky-Flasche wird Peter (Stefan Kurt) nach 37 Arbeitsjahren in die Pension verabschiedet. Auch privat feiert er mit seiner Ehefrau Alice (Esther Gemsch), den beiden erwachsenen Kindern und dem befreundeten Ehepaar Heinz (Ueli Jäggi) und Magalie (Elvira Plüss) den Beginn des neuen Lebensabschnitts. Die kräftigen warmen Farben korrespondieren mit der Vorstellung von kommenden goldenen Jahren.
Genießen soll das Paar, das seit 42 Jahren verheiratet ist, die Zeit. Von Sohn und Tochter erhalten sie dazu auch eine Kreuzfahrt geschenkt. Während die unglücklich verheiratete Tochter (Isabelle Barth) deutlich zu viel Alkohol trinkt und der Sohn (Gundi Ellert) jeden Abend ein anderes Tinder-Date abschleppt, führen die Eltern eine harmonische Beziehung.
Freilich saß man während der Berufstätigkeit von Peter auch nicht ständig nah beieinander. Jetzt aber erklärt Alice ihrem Mann, wenn er lesend im Wohnzimmer sitzt, dass nun Halbe-Halbe bei der Hausarbeit gemacht werde und er Staubsaugen soll. Dazu kommt, dass sie aktiv und lebenslustig ist, er dagegen eher ein Langweiler und Einzelgänger. Sie möchte die eingeschlafene Beziehung wieder befeuern, er zeigt daran wenig Interesse, widmet sich lieber seinen Büchern oder macht eine Tour mit dem Rennrad.
Noch offensichtlicher werden die Gegensätze, als Alices Freundin Magalie bei einer kleinen Wanderung nach einem Herzinfarkt stirbt. Noch mehr stürzt sich nun Peter nämlich in den Fitness-Wahn, plagt sich bei seinen Radtouren bis zum Umfallen, isst nur noch vegan und trinkt keinen Alkohol mehr. Alice dagegen liest die Briefe, die Magalie ihr sterbend anvertraut hat, und entdeckt, dass ihre Freundin über 15 Jahre eine Affäre mit einem Franzosen hatte.
Das ist nur der Beginn von Barbara Kulcsars warmherziger und temporeicher Dramödie, denn mit dem Aufbruch zur Kreuzfahrt, zu der Peter auch seinen nun verwitweten Freund Heinz mitnimmt, werden die unterschiedlichen Vorstellungen vom Leben im Ruhestand zunächst Alice, dann aber auch Peter zunehmend bewusster.
Sehr konventionell, fernsehmäßig und wenig aufregend mag zwar die die Inszenierung sein, doch Petra Volpes starkes Drehbuch macht dies mit seinen zahlreichen Wendungen wett. Leerlauf kommt hier nie auf, genau getaktet ist der Erzählrhythmus. Nach sehr schnellem und dichtem Beginn wird der Film in der zweiten Hälfte zwar langsamer und lässt gefühlvolleren Szenen Raum, doch bis zum Ende warten Kulcsar / Volpe immer wieder mit neuen Überraschungen auf.
Das blendend aufgelegte Ensemble, die in warme Farben getauchten Bilder und das sommerliche Ambiente der Mittelmeerkreuzfahrt sowie nicht zuletzt ein Soundtrack, bei dem auch stimmungssteigernd italienische Schlager wie Richi e Poveris "Sarà perché ti amo" eingesetzt werden, sorgen für gefühlvoll-warmherzige Unterhaltung.
Im Zentrum mag zwar Alice stehen, deren Geschichte und Entwicklung teilweise an die der Protagonistin von Silvio Soldinis "Brot und Tulpen" erinnert, aber auch gegenüber dem Lebensentwurf von Peter bringen Kulcsar / Volpe Verständnis auf.
Wer Biss und Ecken und Kanten sucht, ist bei diesem Film freilich am falschen Platz. Weh tun will diese Rentnergeschichte, die auch durch ihren leichthändigen und ungezwungen-selbstverständlichen Mix von Witz und Drama überzeugt, niemandem, kann aber doch zum Nachdenken über die Gestaltung nicht nur des letzten Lebensabschnitts anregen. Ohne zu dozieren, fordert nämlich "Die goldenen Jahre" auf, auch noch nach 42 Jahren eine in Routine erstarrte Beziehung zu überdenken und, bevor es zu spät ist, eventuell auch ganz neue, alternative Wege einzuschlagen, um auch den Herbst des Lebens nach eigenen Vorstellungen und genussvoll gestalten und genießen zu können.
Die goldenen Jahre Schweiz / Deutschland 2022 Regie: Barbara Kulcsar mit: Esther Gemsch, Stefan Kurt, Ueli Jäggi, Gundi Ellert, Isabelle Barth, Martin Vischer, André Jung, Monica Budde, Teresa Harder, Elvira Plüss Länge: 92 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos - ab 17./18.11. in den österreichischen und deutschen Kinos
Trailer zu "Die goldenen Jahre"
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