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  • AutorenbildWalter Gasperi

Die Eiche – Mein Zuhause (Le Chêne)


In grandiosen Aufnahmen fangen Laurent Charbonnier und Michel Seydoux kommentarlos das vielfältige tierische Leben ein, das sich im Jahreskreislauf um eine knorrige alte Eiche abspielt.


Vom Himmel nähert sich die Kamera einem Wald und fokussiert schließlich auf einer über 200 Jahre alten Stieleiche. Zum einzigen Schauplatz wird in den 80 Minuten dieser majestätische Baum sowie die daneben liegende Wiese und ein angrenzender kleiner See. Erst am Ende des Films wird sich die Kamera mit einer entgegengesetzten Bewegung wieder entfernen und den Blick wieder auf den Wald und die weitere Gegend öffnen.


Mit einem aufziehenden Gewitter wird ein erster dramatischer Akzent gesetzt, denn wenn Blitz und Donner und bald auch heftiger Regen einsetzen, verziehen sich die Feldmäuse in ihre Löcher und müssen Überflutung ihrer Behausung befürchten.


Sensationell sind nicht nur die Makroaufnahmen der unterschiedlichen Tiere, sondern auch, wie das Regie-Duo aus dem Inneren der Maushöhle filmt, oder in extremem Zeitraffer mit atemberaubender Geschwindigkeit die Wurzeln des Baumes wachsen oder Pilze aus dem Boden schießen lässt.


Auf den sommerlichen Auftakt folgt der Herbst nicht nur mit leuchtend gelben Blättern, sondern auch mit fallenden Eicheln, die die Eichhörnchen sich ebenso sichern wollen wie die Mäuse, während sie die Wildschweine gleich vor Ort vertilgen.


Immer wieder droht hier den kleineren Tieren Gefahr, denn bald jagt ein Fuchs eine Maus, ein Habicht einen Eichelhäher und später wird sich eine Schlange bedrohlich der frisch geschlüpften Vogelbrut nähern. In atemberaubenden Kamerafahrten lassen die Filmemacher die Anspannung und Angst bei diesen Verfolgungen nachempfinden, doch immer entkommen die scheinbar chancenlosen Opfer den Jägern durch Schnelligkeit oder durch Glück.


Das Gesetz vom Fressen und gefressen Werden ist hier außer Kraft gesetzt, denn "Die Eiche - Le Chêne" soll doch auch kleineren Zuschauer:innen keinen Schrecken einjagen. Dagegen wird Sex nicht ausgespart, wenn ausführlich die Paarung von zwei Rüsselkäfern gezeigt wird.


Vom Herbst über den Schnee im Winter zum Frühjahr, in dem sich bei den unterschiedlichen Tieren von Mäusen über Vögel bis zu den Wildschweinen Nachwuchs einstellt, spannen Charbonnier und Seydoux den Bogen. Den dramatischen Verfolgungsjagden steht hier in rasanter Montage eine Feier dieser Nachkommenschaft gegenüber. Wie diese Szene mit dem legendären Big Band-Sound von "In the Mood" akzentuiert wird, so ist es an anderen Stellen Musik von Händel oder ein Song von Dean Martin.


Davon abgesehen sorgen einzig Naturgeräusche für den Soundtrack, denn jedes gesprochene Wort wird ebenso ausgespart wie der Mensch. Ganz auf die Natur beschränkt sich das Regie-Duo, vermeidet dabei aber gleichzeitig durch den raschen Wechsel zwischen den verschiedenen Tieren deren Vermenschlichung.


Dafür vermittelt die rhythmische und dynamische Montage ein eindrückliches Bild von der Vielfalt der Tiere, die in und um die Eiche leben. Der Bogen spannt sich von den Bewohnern des Baumes bis zu Störchen, Enten und Bibern im See oder Reh und Hirsch auf der Wiese.


Dank der überwältigenden Aufnahmen sollte es dem Film dabei gelingen anzuregen, auch in der Realität intensiver, achtsamer und mit neuen Augen die Vielfalt und Schönheit der doch so nahen und alltäglichen, aber viel zu wenig beachteten Tierwelt wahrzunehmen.


Le Chêne – Die Eiche Frankreich 2022 Regie: Laurent Charbonnier, Michel Seydoux Dokumentarfilm Länge: 80 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen sowie in den österreichischen und deutschen Kinos



Trailer zu "Die Eiche - Mein Zuhause (La chêne)"


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