top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Der Alpinist


Mit schwindelerregenden Kletterbildern und Interviews zeichnet Peter Mortimers und Nick Rosens Dokumentarfilm ein packendes Porträt des kanadischen Extrembergsteigers Marc-André Leclerc, der mit seinen Alleingängen durch schwierigste Wände neue Maßstäbe im Klettersport setzte.


Klettern hat sich in den letzten Jahren zu einer Trendsportart entwickelt. Kletterhallen boomen, seit 2021 ist es eine olympische Disziplin und Spitzenkletterer sind Stars mit zahllosen Followern auf den sozialen Netzwerken. Auch der Kletterfilm "Free Solo", in dem Jimmy Chin und Elizabeth Chai Vasarhelyi den amerikanischen Freikletterer Alex Honnold porträtierte, wurde nicht nur mit einem Oscar ausgezeichnet, sondern entwickelte sich auch zu einem respektablen Publikumserfolg.


Unübersehbar an diesen Film knüpfen Peter Mortimer und Nick Rosen mit "Der Alpinist" an. Doch Marc-André Leclerc ist ein ganz anderer Typ als Honnold. Statt Öffentlichkeit und Berühmtheit zu suchen, versucht der 1992 geborene Kanadier sich geradezu unsichtbar zu machen. Präsenz in den sozialen Medien interessiert ihn nicht, zeitweise verzichtet er sogar auf ein Handy, hat kein Auto und lebt - zumindest zeitweise - in einem Zelt.


Auch Mortimer und Rosen bietet er sich nicht an, sondern das Duo muss ihn erst in der westkanadischen Klettermetropole Squamish ausfindig machen. Während der Dreharbeiten wird Leclerc zudem einmal plötzlich verschwinden, wird unbemerkt von der Kamera Touren auf Baffin-Island machen und den fast 4000 Meter hohen Mount Robson im Alleingang über eine extrem schwierige Route besteigen. – Ganz für sich und ohne Kamera wollte er diese Tour machen, wird sie aber für das Filmteam wiederholen.


Von Anfang an spürt man die Vertrautheit der renommierten Bergfilmer Mortimer und Rosen mit der Kletterszene, ansteckend wirkt ihre Leidenschaft und trägt nicht unwesentlich zur Spannung von "Der Alpinist" bei. Zwei Jahre begleiteten sie Leclerc, zeigen ihn nicht nur bei seinen Touren in den kanadischen Rockies, sondern folgen ihm auch bei seinem Winter-Alleingang am Torre Egger in Patagonien. Die unterschiedlichen Arten des Kletterns und deren Schwierigkeiten stellt das Duo dabei eindrücklich vor, wenn das anfängliche Felsklettern bald durch Eisklettern abgelöst wird und schließlich Touren im extrem schwierigen gemischten Gelände folgen.


Sichtbar werden dabei auch die unglaublichen filmischen Möglichkeiten, die Drohnen bieten. Hautnah ist die Kamera in der Vertikalen an Leclerc dran, bald über ihm und bald an seiner Seite. Schwindelgefühle können diese Bilder vom ungesicherten Aufstieg in den senkrechten Wänden auslösen. Jeder falsche Tritt und jeder falsche Griff wäre hier unweigerlich tödlich – und die Nähe der Kamera macht auch bewusst, wie klein jeder Griff und Tritt ist und welche Kraft hinter so einer Kletterleistung stecken muss. Gleichzeitig wird in Rückwärtszooms und Sprüngen in die Totale auch immer wieder der Raum geweitet, und die Kleinheit des Kletterers und seine Ausgesetztheit in der übermächtigen Wand eindringlich vermittelt.


Spürbar wird in diesen Szenen auch die konsequente Fokussierung auf die jeweils nächste Bewegung, das ultimative Leben im Hier und Jetzt. Weniger nachvollziehbar bleibt aber für Außenstehende wohl, dass der Kletterer in diesen Momenten – wie behauptet wird - Entspannung und größte Freiheit empfindet.


Gerne würde man Leclerc ausführlicher bei seinen Touren zusehen und etwas zu oft und ausführlich unterbrechen Mortimer und Rosen diese Szenen durch Interviews mit zahlreichen anderen Kletterern, darunter auch Alex Honnold und Reinhold Messner. Teilweise bleibt es da bei bewundernden kurzen Statements, aber zumindest Messner bietet auch Einblick in die Ambivalenz dieser Sportart, zu der für ihn der potentielle Tod untrennbar dazu gehört. Denn ohne diesen gebe es kein Abenteuer und Klettern wäre ein Kindergarten.


Geschickt weiten Mortimer / Rosen den Blick, wenn sie mit Archivmaterial auch einen kurzen Crashkurs über die Geschichte des Alpinismus bieten. Von der Besteigung der höchsten Berge der Welt in den 1950er Jahren über das Interesse für die schwierigsten Wände in den folgenden Jahrzehnten spannen sie im Schnelldurchlauf den Bogen zum Solo-Klettern als Königsdisziplin.


Und schließlich gibt es noch Leclercs Freundin Brette Harrington, die ebenfalls klettert und Einblick in ihre Beziehung bietet, und die Mutter, die über seine Kindheit erzählt. Nie hat Marc-André Leclerc in die Gesellschaft gepasst, wurde schon als Volksschüler aufgrund seines ADHS von ihr selbst zuhause unterrichtet und entwickelte früh die Leidenschaft fürs Abenteuer und die Berge.


Vom Kletterfilm weitet sich "Der Alpinist" durch diese Interviews und Blicke auf die Biographie nicht nur zum spannenden Porträt, sondern schneidet auch philosophische Fragen nach Lebenssinn und Freiheit an. – Das Finale freilich, in dem der Film nach Squamish zurückkehrt und über das nichts verraten werden soll, ist nicht nur allzu gedehnt, sondern auch aufgrund dieser Dehnung und des Musikeinsatzes sehr pathetisch.


Der Alpinist USA 2021 Regie: Peter Mortimer, Nick Rosen Dokumentarfilm Länge: 93 min.


Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos.


Trailer zu "Der Alpinist"


bottom of page