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  • AutorenbildWalter Gasperi

Dem Bösen auf der Spur: True Crime-Filme


M - Eine Stadt sucht einen Mörder (Fritz Lang, 1931)

"Wahre Geschichten" sind im Kino en vogue, eine Spielart sind dabei Filme über tatsächlich verübte Verbrechen. Das Zürcher Kino Xenix widmet sich bis Ende September mit einer Filmreihe dem Thema "True Crime".


Truman Capotes 1965 erschienener Roman "In Cold Blood" nennt die Frankfurter Allgemeine Zeitung als Ursprung des True-Crime-Genres. Detailreich schildert Capote darin nicht nur den kaltblütigen Mord an einer Familie am 15. November 1959, sondern blickt auch auf die Vorgeschichte der beiden rund 30-jährigen Täter sowie ihre Verhaftung bis zu ihrer Hinrichtung am 14. April 1965.


Schon zwei Jahre später verfilmte Richard Brooks Capotes Tatsachenerzählung. In Schwarzweiß werden kühl die Ereignisse nachgezeichnet, gleichzeitig entwickelt sich der Film aber auch zum aufrüttelnden Plädoyer gegen die Todesstrafe.


Mit ihrem Realitätscharakter fesseln solche Filme nicht nur, sondern werfen beim Zuschauer auch Fragen nach den Ursachen solcher Taten und menschlichen Abgründen auf. Die seit 1967 ausgestrahlte Fernsehserie "Aktenzeichen XY … ungelöst" zeugt ebenso vom ungebrochenen Interesse an solchen wahren Verbrechen wie zahlreiche neuere Produktionen von der Netflix-Serie "Making a Murderer" bis zum Podcast "This Is Actually Happening".


Zusätzliche Spannung soll durch den Authentizitätsfaktor generiert werden, gleichzeitig bietet sich die Möglichkeit einerseits akribisch die Polizeiarbeit zu schildern, andererseits beunruhigende Psychogramme von Tätern zu zeichnen oder auch ihre Taten aus ihrem biographischen oder sozialen Hintergrund heraus zu erklären.


Den realen Fall des Serienmörders Peter Kürten, der als "Vampir von Düsseldorf" bekannt wurde, nahm schon Fritz Lang bei seinem ersten Tonfilm "M" (1931) als Ausgangspunkt. Erst nach Fertigstellung des Drehbuchs wurde Kürten verhaftet und drei Wochen vor der Premiere des Films hingerichtet.


Lang verlegt freilich die Handlung nach Berlin und fährt zumindest eine Doppelstrategie. Einerseits zeichnet er den von Peter Lorre genial gespielten Kindermörder als Getriebenen ("will nicht morden, muss"), andererseits schildert er auch die polizeilichen Ermittlungen. Letztere werden wiederum mit den Maßnahmen der Berliner Gangsterbanden, die den Kindermörder ebenfalls fassen wollen, gleichgeschaltet. Nicht nur dramaturgisch ist diese Parallelmontage brillant, sondern die Gleichsetzung von Polizei und Gangstern ist auch als kritische Spitze gegen die aufblühende NSDAP zu lesen.


Im Gegensatz zu "M" richten die meisten True-Crime-Filme den Fokus ganz auf die Ermittler oder die Täter. Nicht nur unsichtbar bleiben so die Täter in David Finchers "Zodiac" (2007) und Bong Jong-hos "Memories of murder" (2003), sondern werden auch bis zum Filmende nicht gefasst. Akribisch zeichnen Fincher, der eine Mordserie im San Francisco der 1960er Jahre aufarbeitet, und Bong, dessen Film auf einem Serienmord im Korea der späten 1980er Jahre beruht, die Ermittlungen nach. Zunehmend verbeißen sich die Detektive dabei in den Fall und werden von ihren erfolglosen Bemühungen zermürbt.


Die Täter stehen dagegen im Zentrum von Arthur Penns "Bonnie and Clyde" (1967). Passend zu den späten 1960er Jahren zeichnet Penn seine Protagonisten, die stolz erklären "We rob banks", als Rebellen gegen die Ausbeutung der einfachen Leute während der Großen Depression.


Aus der Herkunft aus dem White Trash und sexuellen Übergriffen erklärt dagegen Patty Jenkins die Morde von Aileen Wournos in "Monster" (2003). Mit einer überragenden – mit dem Oscar ausgezeichneten – Charlize Theron in der Hauptrolle zeichnet sie das Porträt einer Frau, die von Kindheit an keine Chance hatte, schon mit 13 als Prostituierte Geld verdient und schließlich, als sie vergewaltigt wird, zurückschlägt und ihre Freier zu töten beginnt.


Das randständige Milieu mit einer stets alkoholisierten Mutter und einem aggressiven Freund schildert auch Craig Gillespie in "I, Tonya" (2018) als prägend für die von Margot Robbie gespielte Eiskunstläuferin Tonya Harding. Gillespie zeichnet dabei nicht nur die Rivalität zu der aus der Oberschicht stammenden Eisprinzessin Nancy Kerrigan nach, die im berüchtigten "Eisenstangen-Anschlag" im Vorfeld der Olympischen Winterspiele von 1994 gipfelte, sondern stellt mit widersprüchlichen Aussagen der Protagonisten direkt in die Kamera auch immer wieder den Wahrheitscharakter des Gezeigten in Frage.


In erster Linie Ausgangspunkt für ein mitreißendes Zeitporträt sind dagegen die Morde eines Serienkillers in Spike Lees 1977 spielendem "Summer of Sam". Dicht evoziert die Ikone des afroamerikanischen Films die Atmosphäre dieses Sommers, in dem eine Hitzewelle Ney York lähmt, ein Stromausfall zu Plünderungen führt, Discotempel wie das "Studio 54" boomen und gleichzeitig die Punk-Szene entsteht.


Claire Denis´ "J´ai pas sommeil" (1994) beruht dagegen auf der Geschichte des Massenmörders Thierry Paulin, der 1987 in Paris insgesamt 18 Personen tötete und 1989 im Gefängnis im Alter von 25 Jahren verstarb. Weder Ermittler noch Täter stehen hier aber im Mittelpunkt, sondern eine Litauerin, die in der französischen Hauptstadt in einem Theaterstück spielen will, aber einen Job als Putzfrau annehmen muss und einen Travestiekünstler und dessen Freund kennenlernt, die sich schließlich als die gesuchten Rentnerinnenmörder entpuppen.


Egal ob die Filme dabei auf dem Umfeld der Täter, auf den Tätern oder Ermittlern fokussieren, immer spielen die gesellschaftlichen Verhältnisse eine wichtige Rolle. Wie der White Trash der unerlässliche Background von "Monster" und "I, Tonya" ist und "Bonnie and Clyde" ohne Große Depression als Hintergrund nicht denkbar ist, so erweckt auch erst das Berlin von 1930 "M", das San Francisco der 1960er Jahre "Zodiac" und die beklemmende Zeit der südkoreanischen Militärdiktatur "Memories of murder" zum Leben. Wahr und spannend werden diese Geschichten erst durch diesen präzis und atmosphärisch dicht eingefangenen Hintergrund und packen, weil sie auf dieser Basis immer wieder in universelle menschliche Abgründe blicken lassen und nach den Wurzeln des Bösen fragen.


Weitere Informationen und Spieldaten finden Sie auf der Website des Kino Xenix.


Trailer zu "Monster"



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