Confidente
- Walter Gasperi
- 5. Aug.
- 3 Min. Lesezeit

Fokussiert auf die Telefonate einer Mitarbeiterin eines Erotik-Callcenter in einem Vorort von Ankara zeichnen Guillaume Giovanetti und Çağla Zencirci nicht nur ein eindrückliches Bild der misogynen und korrupten türkischen Männergesellschaft, sondern feiern auch die Widerstandskraft einer starken Frau.
Mit dem Insert "1999 in einem Vorort von Ankara" wird die Handlung des vierten gemeinsamen Spielfilms von Guillaume Giovanetti und Çağla Zencirci zeitlich und örtlich genau verankert. Hintergrund für die Handlung bildet so das große Erdbeben im August 1999, das vor allem in Istanbul schwere Schäden anrichtete und bei dem die Rettungsmaßnahmen der staatlichen Institutionen lange auf sich warten ließen.
Bevor in "Confidente" die Bilder einsetzen, hört man schon Stimmen. Unter Stress stehen die Mitarbeiterinnen eines Erotik-Callcenters, müssen sie doch immer freundlich bleiben und auf die Wünsche der Kunden eingehen. Mal geht es dabei heftig zur Sache, mal muss sich die 40-jährige Sabiha (Saadet Işıl Aksoy), die sich in ihrem Job Arzu nennt, "nur" die Sorgen der Anrufer anhören. Immer macht sie dabei Notizen über ihre Kunden, zu denen angesehene Männer ebenso wie Jugendliche gehören, kann sie so doch bei einem weiteren Anruf besser auf sie reagieren.
Hautnah ist die Kamera von Eric Devin am Gesicht der von Saadet Işıl Aksoy intensiv gespielten Protagonistin. Großaufnahmen dominieren und erst ganz am Ende wird der Film das Erotik-Callcenter verlassen. Wie Gustav Möller in seinem in einer Polizei-Notrufzentrale spielenden "The Guilty" (2018) erzeugen auch Giovanetti und Zencirci durch diese Nähe und das Erzählen in Echtzeit große Unmittelbarkeit und Dichte. Verstärkt wird der quasidokumentarische Anstrich durch den Verzicht auf Filmmusik.
Wie in "The Guilty" wird auch in "Confidente" Spannung dadurch aufgebaut, dass die Anrufer nur durch ihre Stimme präsent sind und lange offenbleibt, inwieweit ihre Aussagen Wahrheit oder Lüge sind. So erzählt "Confidente" dem Titel entsprechend auch von Vertrauen und Misstrauen und erhöht durch diese Unsicherheit die Anspannung sowohl Sabihas als auch der Zuschauer:innen. Zum beruflichen Stress kommen dabei die Scheidung von ihrem Mann, der ebenso wie ihre Bekannten nichts von ihrem Job wissen darf, und der Streit um das Sorgerecht für ihren Sohn.
Wird im Call-Center ein TV-Auftritt des Staatsanwalts von Ankara, in dem er den entschlossenen Kampf gegen Korruption ankündigt, noch bejubelt, so sorgt bald ein Erdbeben für Beunruhigung. Während es in Ankara aber keine Schäden gibt, erhält Sabiha über die Rückruftaste aus Istanbul den Anruf eines verschütteten Jugendlichen. Verzweifelt versucht sie über einen Anruf beim Staatsanwalt, von dem sie durch ein voriges Gespräch erfahren hat, dass er bei einer Sex-Party ist, eine Rettungsaktion zu organisieren.
Ein Machtspiel entwickelt sich so zwischen Sabiha und dem Staatsanwalt, der die vermutliche Orgie als verdeckte Ermittlung ausgibt, und für Unterstützung ihr Schweigen fordert. Gleichzeitig wird Sabiha aber auch noch von ihrem Chef bedrängt, der privates Interesse an ihr zeigt und verspricht mit seinem Geld und seinen Beziehungen dafür zu sorgen, dass sie den Sorgerechtsstreit gewinnt.
In extrem konzentrierter Inszenierung deckt das türkisch-französische Regieduo in seinem dichten und mit 76 Minuten erfreulich kompakten Kammerspiel nicht nur die Korruption der Eliten auf, sondern vor allem die vielfältige Unterdrückung der Frau. Plastisch wird sichtbar, wie schwach die Position Sabihas gegenüber ihrem Mann, ihrem Chef und dem Staatsanwalt ist, aber auch beim hilfsbedürftigen Jugendlichen tritt schließlich eine dunkle Seite zu Tage.
Doch Giovanetti / Zencirci zeichnen ihre hagere Protagonistin eben nicht als hilfloses Opfer, sondern als widerstandsfähige und entschlossene Kämpferin. Mag auch die Krücke, auf die sie angewiesen ist, Metapher für die vielfältigen Behinderungen sein, die sie im Alltag erfährt, und die Enge des Callcenters mit der gesellschaftlichen Beengung korrespondieren, so wächst sie doch mit dem zunehmenden Druck.
In einem langen Monolog artikuliert sie schließlich eindrücklich die vielfältigen Benachteiligungen der türkischen Frauen und als Befreiungsschlag erscheint das Finale, in dem der Film nicht nur das beengende Callcenter verlässt, sondern an die Stelle der privaten Telefongespräche auch ein Statement Sabihas an die Öffentlichkeit tritt.
Confidente
Luxemburg / Frankreich / Türkei 2025
Regie: Guillaume Giovanetti, Çağla Zencirci
mit: Saadet Işıl Aksoy, Osman Alkaş, İlber Uygar Kaboğlu, Erkan Kolçak Köstendil, Nilgün Türksever
Länge: 76 min.
Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Confidente"
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