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  • AutorenbildWalter Gasperi

Close


Mit größtem Einfühlungsvermögen und famosen Kinderdarstellern erzählt der Belgier Lukas Dhont in seinem in Cannes mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichneten zweiten Spielfilm von der Freundschaft zweier 13-Jähriger, von Nähe und den tragischen Folgen einer Zurückweisung.


Großes Feingefühl zeichnete schon Lukas Dhonts Debüt "Girl" aus, in dem der Belgier von einem 15-jährigen Transmädchen erzählte. Doch nicht nur Auszeichnungen gab es dafür, sondern auch der Vorwurf eines voyeuristischen Blicks blieb nicht aus.


Noch jünger sind die Protagonisten seines Nachfolgefilms "Close". Nur die Stimmen der beiden 13-jährigen Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustave de Waele) hört man zunächst, bis sie aus dem dunklen Raum heraustreten, sich vorstellen, wie sie von einer Gruppe Ritter verfolgt werden und fliehend gemeinsam durch die leuchtenden Wiesen rennen.


Unzertrennlich scheinen die beiden Buben, liefern sich Wettrennen mit ihrem Fahrrad und liegen im Bett nah beieinander, wenn der blonde Léo mal beim dunkelhaarigen Rémi schläft und dann wieder umgekehrt. Meist zeigt sie die sehr bewegliche Kamera von Frank van den Eeden gemeinsam im Bild, schweißt sie förmlich zusammen.


Mit dem Herbst kommen die beiden Jugendlichen auf die Mittelschule und ganz ohne Hintergedanken fragt ein Mädchen bald, ob sie nicht nur beste Freunde, sondern ein Paar seien. Entschieden weist das speziell Léo von sich, doch auch für die Zuschauer:innen stellt sich die von Dhont offen gelassene Frage, wo aus Freundschaft Liebe wird und ob die Abwehrhaltung Leos nicht nur eine Verdrängung seiner Gefühle ist.


Als die Jungs der Klasse deutlich gröbere Töne anschlagen und Léo und Rémi als Schwuchteln verlachen, beginnt sich Léo sukzessive von Rémi zu distanzieren. Bald will er nicht mehr mit ihm in einem Bett schlafen, dann artet eine zunächst freundschaftliche Balgerei in eine ernste Prügelei aus und, um Anschluss bei den anderen Buben zu finden, beginnt Léo Eishockey zu spielen, während Rémi weiterhin Oboe spielt.


Wie das Ballett in "Girl" spielt auch Eishockey in "Close" eine zentrale Rolle. Will dort das Transmädchen seine weibliche Identität demonstrieren, so will hier Léo mit dem harten und körperbetonten Sport seine Männlichkeit beweisen, auch wenn er dabei immer wieder Blessuren davonträgt.


Nah dran ist die Kamera an den beiden Jungs, durch die, unterstützt von den beiden ungemein natürlich agierenden Jungschauspielern Eden Dambrine und Gustav De Waele und dem warmen gelbbraunen Licht, mit größtem Feingefühl und Einfühlungsvermögen intensiv die reinen Gefühle und die Tiefe dieser unbeschwerten Freundschaft vermittelt werden. Ganz auf diese Beziehung, die langsam durch äußere Einflüsse gestört wird, konzentriert sich Dhont, spart aber auch den familiären Background mit den Blumen züchtenden Eltern von Léo und einem älteren Bruder sowie mit Rémis Eltern nicht aus.


Doch als die Klasse von einem Ausflug ans Meer, an dem Rémi nicht teilnahm, zurückkehrt, ist plötzlich alles anders. Die Eltern holen die Jugendlichen bei der Ankunft ab und begleiten sie in den Turnsaal, wo eine Besprechung stattfinden soll.


Sah man bislang immer Léo und Rémi gemeinsam im Bild, so ist von nun an nur noch Léo allein zu sehen. Er verstummt förmlich, kann über die Zurückweisung Rémis nicht reden und auch die Bilder leuchten deutlich weniger als in der ersten Hälfte.


Der Lauf der Jahreszeiten korrespondiert mit den jeweiligen Gefühlen, wenn sich "Close" vom leuchtenden Sommer in den kalten Winter, schließlich aber auch wieder in den Frühling und Sommer entwickelt. Schon ein kleines Meisterstück ist, wie hier mit geschmeidiger Montage eine erzählte Zeit von einem Jahr auf eine Erzählzeit von 105 Minuten verdichtet wird.


Bewegend vermittelt Dhont nach dem abrupten Bruch so Leos Schmerz, seine leise Trauer und die Schwierigkeit darüber zu reden. Geplagt von Schuldgefühlen verbeißt er sich fast schon autoaggressiv ins Eishockey, um sich dabei körperliche Schmerzen zuzufügen, doch die Gedanken an den Freund lassen ihn nicht los.


So eng der Film mit der Fokussierung auf den beiden Jungs und den Familien gehalten ist, so konzentriert und bewegend ist er inszeniert. Immer auf Augenhöhe mit seinen beiden Protagonisten ist Dhont, kehrt ihre Gefühle intensiv nach außen. Großartig steigert er dabei auch die Emotionen durch eine pointiert eingesetzte Musik, die zunächst ebenso wie die Bilder diese Freundschaft feiert, dann aber abrupt zurückgenommen wird. Stille kehrt ein und in langen Einstellungen wird die Schwierigkeit über das Unfassbare zu sprechen geradezu spürbar, bis es doch gelingt die Beklemmung zu lösen und wieder in die Zukunft zu blicken.

Close Belgien / Niederlande / Frankreich 2022 Regie: Lukas Dhont mit: Eden Dambrine, Gustav De Waele, Émilie Dequenne, Léa Drucker, Igor van Dessel, Kevin Janssens, Marc Weiss, Léon Bataille Länge: 105 min.


Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan


Trailer zu "Close"


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