Clara ist 40 und wird von ihrer Mutter im abgelegenen Bergdorf in Costa Rica immer noch in bedrückender Abhängigkeit gehalten, doch langsam beginnt die schweigsame Frau sich zu befreien. – Der costaricanisch-schwedischen Drehbuchautorin und Regisseurin Nathalie Àlvarez Mesén gelang ein Spielfilmdebüt, das mit magisch-realistischen Dschungel-Bildern und der starken Hauptdarstellerin Wendy Chinchilla Araya beeindruckt.
Mit ihrer weißen Stute Yuca spricht die 40-jährige Clara (Wendy Chincilla Araya) auf der Wiese am Rande des Dschungels. Sie kann aber das Pferd nicht berühren, denn den mit blauen Stofffetzen begrenzten Bereich darf sie nicht überschreiten. – Eines von mehreren einprägsamen Bildern für die Einengung und Unterdrückung Claras ist dies.
Urheberin ist Claras Mutter Doña Fresia (Flor María Vargas Chaves), die ihre durch eine Wirbelsäulenverkrümmung gehbehinderte Tochter auch für geistig zurückgeblieben hält. Eine mögliche Operation lehnt sie aber ab, denn Gott habe sie so geschaffen und so soll sie deshalb bleiben. Als Nachfolgerin der Jungfrau Maria sieht die Mutter Clara und mit ihren Fähigkeiten als Heilerin soll sie nicht nur Krebs, Herzprobleme und Kniebeschwerden geheilt haben, sondern bringt auch wichtige Einkünfte ins Haus. – Wenn sie für die Messen, bei der die Leute sie berühren dürfen, angekleidet wird, wird ihr ein Korsett um den Bauch geschnürt, das wieder eindrücklich auf Repression und Einengung verweist.
Doch neben Doña Fresia und Clara wohnt auf dem Hof im abgelegenen Bergdorf mit Maria (Ana Julia Porras Espinoza) auch noch die 14-jährige Tochter von Claras verstorbener Schwester. Ganz anders als Clara verhält sich dieser Teenager, tanzt ausgelassen in seinem Zimmer, beginnt eine Beziehung mit dem Touristenführer Santiago (Daniel Castañeda Rincón) und freut sich auf die Quinceañera, das große Fest mit dem anlässlich ihres 15. Geburtstags auch der Übergang vom Mädchen zur Frau gefeiert wird.
Das Verhalten Marias, die Präsenz Santiagos, aber auch die Telenovelas bringen bei Clara langsam etwas in Bewegung. Brutal unterdrückt ihre Mutter zwar, dass sie masturbiert, indem sie ihr die Finger mit Chili beschmiert, doch auf Dauer lässt sich die erwachende Sexualität und das Begehren nicht verdrängen.
Selbst macht sich Clara so an Santiago heran, der ihr im Gegensatz zu Mutter und Nichte auf Augenhöhe begegnet, und streift mit ihm durch den Dschungel. Wie ein erster Schritt zu einer Wiedergeburt und zweiten Menschwerdung wirkt es da, wenn sie in einem Fluss ins Wasser eintauchen. Auch bei der Quinceañera möchte Clara nun nicht mehr ein altes Kleid tragen, sondern so wie Maria ein prunkvolles, leuchtend blaues.
Der Repression durch die erzkatholische bigotte Mutter steht die Freiheit, die die Natur verspricht, gegenüber. Mit Totalen vom in sattes Grün getauchten, wuchernden Dschungel, Detailaufnahmen von Käfern, mit denen Clara liebevoll umgeht, und Bildern vom nächtlichen Flug von Glühwürmchen beschwört Kamerafrau Sophie Winqvist Loggins eine fantastische Welt abseits der bürgerlichen und religiösen Zwänge.
Doch diese Natur fördert nicht nur die Befreiung Claras, die sich den Beinamen "Sola" – "Allein" – gegeben hat, sondern lässt sie auch erkennen, dass sie ihrer Stute Yuca auch diese Freiheit schenken muss. Wird sie freilich in ihrem Freiheitsstreben immer wieder von ihrer Mutter eingebremst, so bricht ihre Leidenschaftlichkeit bei der Geburtstagsfeier Marias, bei der sie wieder isoliert ist, während alle anderen zu zweit tanzen, voll durch. – Mit einem Erdbeben findet die Regisseurin dabei wieder ein starkes Bild für Claras innere Erschütterung und ihren Aufbruch, bei dem sie auch mit der ihr zugedachten Rolle als religiöse Heilerin abrechnet und im Fluss im Dschungel ihre Wiedergeburt vollendet.
Nicht gerade neu sind solche Geschichten von der Befreiung einer Frau aus gesellschaftlichen und religiösen Zwängen, aber Nathalie Álvarez Meséns und Sophie Winqvist Loggins von magischem Realismus durchzogenen farbintensiven Dschungel- und Naturbilder bringen doch eine ganz eigene, faszinierende Note in diesen lateinamerikanischen Frauenfilm.
Wesentlich zur Stärke von "Clara Sola" trägt aber auch die Hauptdarstellerin Wendy Chinchilla Araya bei. Eindrücklich vermittelt diese gelernte Tänzerin die Wandlung Claras von einem Objekt der Mutter zu einer selbstständigen Frau, die auf ihre Gefühle und Sehnsüchte zu hören beginnt, diese umzusetzen und ihren eigenen Weg im Leben zu gehen versucht.
Clara Sola Costa Rica 2021 Regie: Nathalie Álvarez Mesén mit: Daniel Castañeda Rincón, Wendy Chinchilla Araya, Ana Julia Porras Espinoza, Flor María Vargas Chavez Länge: 108 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und ab 24.3. im Skino Schaan
Trailer zu "Clara Sola"
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