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  • AutorenbildWalter Gasperi

Call Jane


Phyllis Nagy erzählt von einer Anwaltsgattin, die sich in den USA der späten 1960er Jahren zur engagierten Unterstützerin einer Frauengruppe wandelt, die illegale Abtreibungen durchführt: Allzu geradlinig und vereinfachend ist zwar die Erzählweise, doch durch das starke Spiel von Elisabeth Banks und Sigourney Weaver und die Aktualität des Themas packt das Drama dennoch.


Phyllis Nagy, die sich durch ihr für den Oscar nominiertes Drehbuch zu Todd Haynes´ "Carol" einen Namen machte, vermittelt schon in der ersten Szene prägnant das Bild einer Welt im Umbruch: Lange folgt Greta Zozulas Kamera der elegant gekleideten Joy Griffin (Elisabeth Banks) im Rücken durch die Lobby eines Hotels, in dem die Aufnahme ihres Mannes (Chris Messina) als Partner einer Anwaltskanzlei gefeiert wird. Wenn Joy aber durch die Drehtür auf die Straßen von Chicago tritt, trifft sie auf eine andere Welt. Denn draußen demonstriert im August 1968 die Jugend. Bald kommt es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei, während Joy sich wieder der Party zuwendet.


Das Wissen um Bürgerrechtsbewegung, die Attentate an Martin Luther King und Robert Kennedy sowie den Vietnamkrieg als Ursache für diese Proteste setzt Nagy voraus. Detailreich und mit sorgfältiger Ausstattung schildert sie dagegen die davon nicht betroffene heile Welt des gehobenen amerikanischen Mittelstands. Ruhig verläuft das Leben Joys, die mit ihrem Mann Will (Chris Messina) und ihrer 15-jährigen Tochter Charlotte (Grace Edwards) in einem schmucken Vorstadthaus lebt und ein zweites Kind erwartet.


Doch als der Gynäkologe bei einer Untersuchung die Schwangerschaft aufgrund einer Herzinsuffizienz Joys als hochriskant einstuft, strebt sie aus medizinischen Gründen eine Abtreibung an. Die rein von Männern besetzte Kommission des Krankenhauses lehnt diesen Eingriff aber ab, denn immerhin habe das Baby ja eine gute Überlebenschance. Als auch weitere Versuche einer Abtreibung scheitern, entdeckt Joy zufällig ein Flugblatt der Frauengruppe, die unter dem Titel "Call Jane" schwangeren Frauen Hilfe anbietet.


Gegen hohe Bezahlung werden dort in einem Hinterzimmer von einem Mann heimlich Abtreibungen durchgeführt. Akribisch schildert Nagy nicht nur den Eingriff, sondern macht auch die permanente Angst vor polizeilicher Ermittlung und Entdeckung intensiv erfahrbar.

Ist für Joy mit der Abtreibung, die sie zuhause als Fehlgeburt ausgibt, zunächst alles erledigt, so möchte die Leiterin der Frauengruppe (Sigourney Weaver) die Hausfrau für dieses Engagement gewinnen. Zunächst zeigt die Anwaltsgattin zwar wenig Interesse, steigert sich dann aber zunehmend in diese Aufgabe hinein.


Mit Joy als Identifikationsfigur erzählt Nagy so von der Wandlung einer biederen Hausfrau zur engagierten Kämpferin für die in Not befindlichen Frauen. Gleichzeitig zeigt sie aber auch, wie Joy mit diesem Engagement zunehmend Selbstbewusstsein entwickelt und erstmals auch ihren eigenen Körper richtig entdeckt.


In der Fokussierung auf Joy und der Geradlinigkeit, mit der die Entwicklung der Protagonistin durchdekliniert wird, vereinfacht Nagy die komplexe Thematik zweifellos sehr, dennoch packt der Film dank des starken Spiels nicht nur von Elisabeth Banks und Sigourney Weavers, die die Leiterin der Frauengruppe spielt, sondern auch aufgrund der treffend besetzten Nebenrollen und einer sorgfältigen Ausstattung, die dicht die Stimmung der Zeit beschwört.


Plastisch führt der Film dabei auch die Folgen einer Kriminalisierung der Abtreibung vor Augen und zeigt, dass davon vor allem die Schwachen der Gesellschaft von schwangeren Teenagern über vergewaltigte Frauen bis zu kinderreichen, aber finanzschwachen Müttern betroffen sind. Doch nicht nur das Abtreibungsverbot wird kritisiert, sondern auch traditionelle Geschlechterrollen und die Macht der Männer, wenn Joys Ehemann stets erwartet, dass seine Frau ihn bekocht, oder der Abtreibungsarzt die Situation der Schwangeren skrupellos ausnützt, um sich zu bereichern.


Doch Nagy zeigt auch, wie sich die Frauen aus diesen Abhängigkeiten befreien können, denn "Call Jane" soll auch ein Mutmacher sein und weist nach der Aufhebung des Abtreibungsverbots 1973 auf weitere anstehende Kämpfe für Gleichberechtigung und Lohngleichheit hin.


So historisch dabei der geschilderte Kampf ist, für den das reale "Jane Collective" und die Lebensgeschichte der Bürgerrechtlerin Heather Booth als Vorlage dienten , so aktuell ist "Call Jane" angesichts des in mehreren Bundesstaaten der USA wieder eingeführten Abtreibungsverbots. - Diese Aktualität macht Nagys Film zu einem wichtigen Statement, das gerade durch seine konventionelle Machart und seine Fokussierung auf eine starke Identifikationsfigur ein breiteres Publikum erreichen und für die Thematik sensibilisieren kann.


Call Jane USA 2022 Regie: Phyllis Nagy mit: Elisabeth Banks, Sigourney Weaver, Chris Messina, Wunmi Mosaku, Kate Mara, Cory Michael Smith Länge: 121 min.



Läuft derzeit in den Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen, Skino Schaan und Cinema Dornbirn


Trailer zu "Call Jane"




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