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AutorenbildWalter Gasperi

Bones and All


Luca Guadagnino beweist mit seinem romantischem Horror-Drama um ein junges Pärchen mit kannibalistischem Drang erneut, wie meisterhaft er es versteht, Bilder mit Emotionen und Spannung aufzuladen: Coming-of-Age-Geschichte, Roadmovie, zärtlicher Liebesfilm und blutiger Body-Horror gehen bruchlos ineinander über.


Nachdem Luca Guadagnino mit "Call Me By Your Name" ein betörendes Meisterwerk über die erste – queere - Liebe gelang, hat er sich nach seinem Remake von Dario Argentos Horror-Klassiker "Suspiria" nun Camille DeAngelis Jugendbuch "Bones and All" vorgenommen. Wie eine Verbindung seiner beiden früheren Filme wirkt dabei sein neuer Film, wenn eine zärtliche Liebesgeschichte zweier junger Erwachsener mit blutigem Body-Horror verknüpft wird. Die Möglichkeit dazu bietet der Umstand, dass sie beiden Protagonist*innen an kannibalistischem Drang leiden.


Ziemlich abgefahren wirkt dieser Stoff, doch Guadagnino erzählt davon mit größter Selbstverständlichkeit und Ernst. Wie er diesen Drang in der ganz alltäglichen Welt verankert und ihn nicht auf die beiden Protagonist*innen beschränkt, erinnert dabei an Tomas Alfredsons "Let the Right One In – So finster die Nacht", in dem ein Vampirmädchen in einem schwedischen Wohnblock einzieht.


Guadagnino fackelt nicht lange, sondern lässt den Film unvermittelt damit beginnen, dass die 18-jährige Maren (Taylor Russell), die neu an der Schule ist, von einer Klassenkameradin zum Übernachten eingeladen wird. Heimlich schleicht sie sich nachts aus dem Trailerpark ins Haus der Freundin. Ein netter Abend scheint es zu werden, doch als die Freundin Maren den frischen Nagellack zeigen will, beißt diese ihr in den Finger und lässt nicht davon ab, bis sie zwei andere Mädchen abwehren können.


Als sie blutüberströmt nach Hause kommt, ist der Vater geschockt, weiß aber schon, was passiert ist, denn dies ist nicht der erste derartige Vorfall. Deshalb sind sie offensichtlich auch schon mehrfach umgezogen, doch nun ist es dem Vater endlich zu viel. Heimlich verlässt er Maren, lässt nur ihre Geburtsurkunde und eine Kassette zurück, in der er seiner Tochter von ihren bis in die frühe Kindheit zurückreichenden kannibalistischen Aktivitäten erzählt.


In der Geburtsurkunde findet Maren aber auch den Namen und den Geburtsort ihrer Mutter, die sie nun suchen will. So beginnt ein Roadtrip durch die USA, den Inserts der Kürzel der jeweiligen Bundesstaaten von Virginia über Maryland bis Kentucky und Minnesota strukturieren. Auf der Reise trifft Maren bald auch den älteren Sully (Mark Rylance), der ebenfalls Kannibale - oder "Eater" - ist und von dem sie erfährt, dass es mehrere Menschen mit diesem Drang gibt und dass man sie riechen kann.


Doch Maren traut dem schrulligen Mann, der stets einen Hut mit Feder trägt, nicht und verlässt ihn heimlich. Wenig später begegnet sie dem jungen ebenfalls kannibalistischen Lee (Timothée Calamet). Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Marens Mutter, besuchen aber auch Lees jüngere Schwester und auch Sully lässt sich nicht so leicht dauerhaft abschütteln.


Heftige Momente setzt Guadagnino mit den kannibalischen Szenen und auch die Situierung in einem schäbigen Unterschichtmilieu verleiht dem in den 1980er Jahren spielenden Film einen tristen und bedrückenden Anstrich. Im Kern erzählt das Horrordrama aber ganz universell von vererbten Trieben, von daraus resultierender gesellschaftlicher Ausgrenzung und dem Wunsch nach Befreiung von diesen Zwängen und einem ganz normalen Leben. Auch Sully erscheint hier im Grunde weniger als Freak als vielmehr als einsamer alter Mann, der sich nach Gemeinschaft sehnt.


Den beengenden Verhältnissen und nahen Einstellungen von Maren und Lee steht so auch gegen Ende die Weite der Landschaft des Mittleren Westens gegenüber, in der sich Maren und Lee, die von Freunden langsam zu einem Paar werden, förmlich verlieren. Möglich scheint hier dieser Traum vom Glück und vom normalen Leben. Doch Störfaktoren können diese Idylle leicht wieder zerbrechen lassen.


Meisterhaft versteht es Guadagnino nicht nur aus seinen beiden Hauptdarsteller*innen Timothée Chalamet, der auch mit seinem femininen Aussehen, seinen roten Haaren und seinen zerrissenen Jeans die Idealbesetzung Lees ist, und der zurückhaltend spielenden Taylor Russell sowie Mark Rylance in der Rolle des Sully das Maximum herauszuholen, sondern auch die Bilder durch Farb- und Lichtregie mit Emotionen aufzuladen. Nicht unwesentlich trägt dazu wohl auch bei, dass "Bones and All" auf analogem 35mm-Film gedreht wurde, durch den die Aufnahmen von Kameramann Arseni Khachaturan eine sehr sinnliche, haptische Qualität gewinnen.


Der Soundtrack von Trent Reznor und Atticus Ross unterstützt dabei mit zeitgenössischen Songs der 1980er Jahre von Duran Duran über Kiss bis Joy Division und Radiohead einerseits perfekt die Atmosphäre und Bildsprache. Andererseits wird durch die Musik immer wieder in scheinbar harmlosen Szenen schon ein Gefühl der Bedrohung aufgebaut, bevor sich Gewalt und Schrecken entladen.


Intensiv versetzt bei diesen abrupt hereinbrechenden, heftigen Szenen eine nah geführte, unruhige Handkamera mitten ins Geschehen. Ganz unabhängig vom kannibalistischen Background wird so im Spannungsfeld von Ruhe und Gewalt allgemein die Zerbrechlichkeit jeden Glücks erfahrbar und das Gewicht und die Bedeutung des Augenblicks werden durch das Bild des allein vor der weiten Prärie sitzenden Paares und den Song "(You Made It Feel Like) Home" eindrücklich und nachwirkend beschworen.


Bones and All Italien / USA 2022 Regie: Luca Guadagnino mit: Timothée Chalamet, Taylor Russell, Mark Rylance, Michael Stuhlbarg, André Holland, Chloë Sevigny Länge: 130 min.


Derzeit in den Kinos, z.B. im Kino Scala in St. Gallen und im Skino Schaan


Trailer zu "Bones and All"


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