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AutorenbildWalter Gasperi

Bolero

Ausgehend von der Entstehungsgeschichte des Orchesterstücks "Bolero" zeichnet Anne Fontaine ein Porträt des Komponisten Maurice Ravel. – Ein gepflegter und geschmackvoller Historienfilm mit sorgfältig ausgestatteten und ausgeleuchteten Bildern, dem es aber doch an Esprit und Pfiff fehlt.


Eine beliebte Ausgangssituation für Filme oder Bücher ist die Frage nach den Wurzeln eines Kunstwerks. Tracy Chevalier spekulierte beispielsweise im von Peter Webber 2003 verfilmten Roman "Das Mädchen mit dem Perlenohrring" über die Hintergründe von Jan Vermeers gleichnamigem Gemälde. Marc Forster setzte sich in "Finding Neverland" mit der Entstehungsgeschichte des Klassikers "Peter Pan" auseinander.


Anne Fontaine, die schon mit "Coco Chanel – Der Beginn einer Leidenschaft" (2009) einen im Paris des frühen 20. Jahrhunderts spielenden Historienfilm gedreht hat, fokussiert nun in diesem Kostümdrama auf der Entstehungsgeschichte von Maurice Ravels Bolero. Zum Vorspann vermitteln Bilder von modernen Interpretationen dieses Orchesterstücks, wie dieses in unterschiedlichsten Kontexten vom klassischen Konzert bis zur poppigen Veranstaltung und von Asien bis Afrika gespielt und variiert wird. – Laut Nachspanninsert soll der Bolero alle 15 Minuten irgendwo auf der Welt zu hören sein.


Nur kurz hält sich Fontaine im Jahr 1903 auf, in dem Maurice Ravel (Raphaël Personnaz) am Konservatorium bei dem Klavierwettbewerb um den Prix de Rome erfolglos bleibt. Nur aus späteren Gesprächen erfährt man, dass es nicht bei dieser einmaligen Schmach blieb, sondern dass er vier weitere Male erfolglos an diesem Wettbewerb teilnahm.


Mit einem Schnitt springt der Film von dieser Enttäuschung, bei der offen bleibt, ob sie die Ursache für einen Fenstersturz Ravels war oder ob es sich dabei um einen Unfall handelte, ins Jahr 1927. Bald erhält der Komponist nun von der russischen Choreographin und Tänzerin Ida Rubinstein (Jeanne Balibar) den Auftrag, für sie das nächste Ballett zu komponieren.


Ein kluger Schachzug ist zweifellos die Konzentration auf die Komposition des Bolero. So wird ein Aneinanderreihen von Anekdoten verhindert und eine runde Erzählung kann entwickelt werden. Immer wieder vermittelt Fontaine so auch, wie für Ravel alles Musik und Inspirationsquelle für seine Kompositionen ist. Der Lärm von Maschinen in einer Fabrik kann ihn ebenso anregen wie Kirchenglocken, der Jazz, den er bei einer USA-Tournee kennenlernt, oder populäre Songs.


Gleichzeitig zeichnet die Französin aber auch das Bild eines Mannes, der - vielleicht auch aufgrund seiner Erfahrungen als Sanitäter im Ersten Weltkrieg - zu einer Beziehung zu einer Frau kaum fähig ist. Umworben wird er zwar von der vornehmen Misia (Doria Tillier), liebevoll umsorgt von der Pianistin Marguerite Long (Emmanuelle Devos) und auch Ida Rubinstein ist ihm sichtlich zugetan, doch er hält immer Distanz.


Ganz auf Ravel fokussiert Fontaine. Gesellschaftliche und historische Hintergründe werden ausgespart. Auf Abendveranstaltungen folgt ihm die Kamera ebenso wie zu Orchesterproben oder zeigt ihn in seiner Wohnung beim Versuch zu komponieren. Sorgfältig ausgestattet und ausgeleuchtet sind die vorwiegend in warme Brauntöne getauchten Bilder, doch in seiner Aufgeräumtheit und in der Beschränkung auf die vornehm gekleidete Oberschicht und ihre Dienerschaft wirkt dieser Historienfilm auch sehr glatt und steril.


Auch schauspielerisch werden zwar durchaus solide Leistungen geboten, doch wirklich Profil und Facettenreichtum gewinnen die Figuren nicht. Zu bieder und einfallslos ist doch die Regie von Fontaine, die auch kaum Momente akzentuiert, sondern gleichförmig Szenen aneinanderreiht. Daran ändert auch nichts, dass die lineare Erzählweise punktuell durch Rückblenden in die Zeit des Ersten Weltkriegs aufgebrochen oder bei der Amerika-Tournee das Bildformat zur Erzeugung einer Zeitstimmung verkleinert wird.


In eleganter Montage wird die Tournee zwar mit einer fließenden Abfolge von Konzertszenen, die durch Inserts geographisch verankert werden, verkürzt, für Spannung sorgt letztlich aber einzig der Zeitdruck, der mit dem Abgabetermin des Ballettstücks aufgebaut wird.


Zu bruchlos und einfach entwickelt sich der Film insgesamt aber auf den triumphalen Erfolg des Bolero hin, der auch penetrant in ständigen Variationen und Wiederholungen den Soundtrack bestimmt.


Wirklich bewegend wird dieses Drama erst nach einem weiteren Zeitsprung von zehn Jahren, wenn der erst 62-jährige Komponist schon schwer von einer bis heute nicht eindeutig bestimmten Krankheit – vermutlich einer Form von Demenz – schwer gezeichnet ist. Nicht nur langjährige Bekannte erkennt er nun nicht mehr, sondern auch den Bolero, als jemand diesen auf der Straße pfeift.


 

Bolero Frankreich / Belgien 2024 Regie: Anne Fontaine mit: Raphaël Personnaz, Doria Tillier, Jeanne Balibar, Emmanuelle Devos, Vincent Perez, Sophie Guillemin, Anne Alvaro, Alexandre Tharaud, Florence Ben Sadoun Länge: 120 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.


Trailer zu "Bolero"



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