Shiori Ito zeichnet in ihrem unter anderem beim Filmfestival in Sundance und beim Zurich Film Festival ausgezeichneten Dokumentarfilm nicht nur bewegend ihren schwierigen juristischen Kampf gegen ihren eigenen Vergewaltiger nach, sondern deckt auch die Rückständigkeit der patriarchalen japanischen Gesellschaft und Rechtsprechung hinsichtlich Sexualstraftaten auf.
Radikal persönlich ist der Einstieg, wenn die 1989 geborene Journalistin, Autorin und Filmemacherin Shiori Ito in die Handykamera erzählt, dass sie nun, im Jahr 2017, beschlossen habe ihre zwei Jahre zurückliegende Vergewaltigung öffentlich zu machen und gegen den Vergewaltiger zu kämpfen.
Erst gegen Ende des Films wird man erfahren, was ihr 2015 bei und nach einem Abendessen mit dem renommierten japanischen Journalisten Noriyuki Yamaguchi widerfahren ist. Erschütternd detailliert wird dann die Vergewaltigung beschrieben. So persönlich "Black Box Diaries" mit der eigenen Geschichte Itos aber auch ist, so deckt er doch gleichzeitig auch über das Einzelschicksal hinaus bestechend die Rückständigkeit der japanischen Rechtsprechung und Gesellschaft im Allgemeinen auf.
So endet der Strafprozess gegen den seit vielen Jahren mit dem damaligen Ministerpräsidenten Abe befreundeten Yamaguchi mangels Beweisen mit einem Freispruch. Ein Ermittler will aus Angst vor Jobverlust nicht aussagen und erst spät meldet sich der Hotelportier bei Ito, denn das Hotel hat ihm verboten, der Polizei zu melden, dass Yamaguchi seine wohl durch K.O.-Tropfen betäubte Begleitung durch die Lobby schleppte.
Einzig der Taxifahrer berichtet, dass Ito mehrfach bat, zum Bahnhof gefahren zu werden, während Yamaguchi auf der Fahrt zum Hotel bestand, wo er sie aus dem Wagen trug. Wieso der Fahrer bei diesem Übergriff nicht eingriff, bleibt offen.
Archivmaterial belegt, dass der Fall Kreise bis ins japanische Parlament zog, wo über das seit 1907 im Kern unveränderte Sexualstrafrecht diskutiert wurde. Den langen Weg zur Veröffentlichung ihres Buches "Black Box" dokumentiert Ito ebenso wie Sitzungen mit ihren Anwälten, um eine Zivilrechtsklage gegen Yamaguchi vorzubereiten.
In Gesprächen mit Expert:innen, die berichten, dass in Japan nur 4% der Frauen sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen bei der Polizei melden und nur 30% danach professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wird deutlich, wie tief verwurzelt hier noch eine Sexualmoral ist, bei der die Scham der Frauen stärker ist als das Verlangen nach Aufklärung. Nicht verwunderlich ist freilich diese Scham, wenn man sieht, wie viele Hassmails Ito nach Veröffentlichung ihres Buches erhalten hat und als "Nutte" beschimpft wurde.
Gleichzeitig bietet die Regisseurin aber auch immer wieder Einblick in die traumatischen Nachwirkungen der Vergewaltigung. Beklemmend ist hier eine Szene, in der sie berichtet, dass schon der Anblick eines Fotos des Vergewaltigers bei ihr eine Panikattacke auslöste, und immer wieder ist sie dem Zusammenbruch nahe. Aber auch Gewissensbisse werden sichtbar, wenn sie befürchtet ihrer Familie mit ihrem Vorgehen zu schaden oder die berufliche Existenz des Ermittlers, der sie anonym unterstützt, zu gefährden.
Als Meilenstein wird Itos Erfolg zwar beschrieben, den sie nach fünfjährigem Kampf mit ihren Anwält:innen 2022 vor dem Tokioter Bezirksgericht erzielte, dennoch gibt es noch viel zu tun. Uneinsichtig zeigt sich nämlich der Vergewaltiger bei einer anschließenden Pressekonferenz, spricht von unglücklichem Missverständnis, aber keinesfalls von einem illegalen Verhalten.
Und mag Shiori Ito auch zunächst über den Sieg jubeln und damit äußerlich ein Schlussstrich unter das Geschehene gezogen werden, so wird ihr Blick doch bald wieder zunehmend nachdenklicher und trauriger: Die psychischen Folgen werden eben auch durch diesen äußeren Erfolg nicht beseitigt.
Doch "Black Box Diaries" rüttelt nicht nur auf, sondern kann und soll mit seinem Beispiel speziell japanischen Frauen auch Mut machen, Vergewaltigungen nicht hinzunehmen, sondern das Vergehen öffentlich zu machen und die Peiniger anzuklagen.
Back Box Diaries Japan / USA / Großbritannien 2023 Regie: Shiori Ito Dokumentarfilm mit: Shiori Ito Länge: 103 min.
Läuft in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.
Trailer zu "Black Box Diaries"
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