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  • AutorenbildWalter Gasperi

Bitterer Reis - Riso amaro


Quasidokumentarische Schilderung der Arbeit von Frauen auf den Reisfeldern in der Poebene und überhitztes Melodram: Giuseppe De Santis 1949 entstandener Klassiker, der Neorealismus mit Hollywood-Erzählkino verbindet, ist bei Filmjuwelen auf DVD und Blu-ray erschienen.


Realistische Schilderung des alltäglichen Lebens in Italien kurz vor Kriegsende bei Roberto Rossellini ("Roma, città aperta", 1945; "Paisà; 1946), im von Armut gezeichneten Nachkriegsitalien bei Vittorio De Sica ("Sciuscià – Schuhputzer", 1946; "Ladri di bicicletti", 1948) oder der Ausbeutung von Fischern auf Sizilien bei Luchino Visconti ("La terra trema", 1948) kennzeichnete die frühen Meisterwerke des italienischen Neorealismus.


Giuseppe De Santis folgt in seinem 1949 entstandenen Klassiker dieser Tradition in der quasidokumentarischen Schilderung der Arbeit der Mondine, der Reisarbeiterinnen in der Poebene. Authentizität evoziert hier ein Radioreporter, der über den Reisanbau und die Situation der Frauen informiert, die im Frühjahr aus ganz Norditalien in die Poebene strömen, um für drei Monate auf den Feldern Reis anzupflanzen. In Totalen vermittelt die Kamera von Otello Martelli einen Eindruck von deren großen Zahl.


Gleichzeitig arbeitet De Santis aber auch stark mit den Mitteln des Hollywoodkinos, wenn er aus dieser Menge einerseits die junge Silvana (Silvana Magnano) und andererseits den Kriminellen Walter (Vittorio Gassman) und dessen Geliebte Francesca (Doris Dowling) herauspickt.


Gemeinsam haben letztere eine Halskette gestohlen. Um von der Polizei nicht entdeckt zu werden, taucht Francesca unter den Reisarbeiterinnen unter, Walter wird ihr bald in dieses Milieu folgen. Hier entwickelt sich einerseits ein Konflikt zwischen den offiziell angestellten Arbeiterinnen, zu denen Silvana zählt, und den nicht aufgenommenen und um einen Arbeitsplatz kämpfenden Frauen wie Francesca. Gleichzeitig entwickelt sich aber auch ein Eifersuchtsdrama, denn Silvana verfällt Walter, der sie aber wie zuvor Francesca nur für seinen nächsten Coup benutzen will.


Wie De Santis einerseits mit Parallelfahrten der Kamera immer wieder eindrücklich die schweren Arbeitsbedingungen und die Ausbeutung der Frauen schildert, so bedient er sich andererseits klassischer Hollywood-Strategien, wenn er die Reize Silvana Manganos, die drei Jahre zuvor als 16-Jährige zur Miss Roma gewählt worden war, ausführlich in Szene setzt. Ein knapper Pullover betont ihre Oberweite, während die kurzen Hosen und die auf den überfluteten Feldern hochgekrempelten Kleider die Schenkel der Frauen immer wieder zur Geltung bringen. Aber auch die Szenen, in denen Silvana Boogie Woogie tanzt, strahlen auch über 70 Jahre nach der Uraufführung immer noch beträchtlichen erotischen Reiz aus.


Im Wiederspruch zum realistischen Setting stehen aber auch Kleidung und das saubere Aussehen von Mangano. Mehr ein Pin-up Girl soll hier in Szene gesetzt werden als eine einfache Reisarbeiterin Dazu kommen Musical-Elemente, wenn die Frauen auf den Reisfeldern singen, um die harte Arbeit leichter zu ertragen, während mit der Dreiecksbeziehung das Melodram und mit Walters kriminellen Plänen die Krimiebene befeuert wird.


Präzise kann De Santis in den beiden Protagonistinnen auch gegensätzliche Entwicklungen nachzeichnen. Denn während die anfänglich als egoistische und arrogante Diebin gezeichnete Francesca zunehmend soziales Gewissen, Solidarität und Klassenbewusstsein entwickelt, bricht bei Silvana zunehmend der Egoismus durch. Sie will die Chance auf ein besseres Leben mit Walter am Schopf packen und wirft dabei jede Verantwortung für ihre Kolleginnen über Bord.


Künstlerisch mag der Mix aus Neorealismus und Hollywood-Elementen nicht ganz aufgehen und den Vorwurf soziale Realität für ein saftiges Kinostück auszubeuten, kann man De Santis wohl nicht ganz ersparen. Andererseits verliert er doch den sozialen Aspekt nie aus den Augen und konnte mit der hochemotionalen Handlung ein breites Publikum mit der realen Situation der Mondine vertraut machen.


So beeindruckt "Riso amaro", dessen Titel man auch mit "Bitteres Lächeln" übersetzen kann, auch heute noch mit seiner erzählerischen Kraft, den eindrucksvollen Schwarzweißbildern von Otello Martelli und dem gelungen Mix von Profi-Schauspieler:innen und ausdrucksstarken und authentischen Laiendarsteller:innen.


An Sprachversionen bieten die bei Film- und Fernsehjuwelen erschienene DVD und Blu-ray die italienische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie deutsche Untertitel. Neben der deutschen Kinoschnittfassung mit der ursprünglichen Synchronisierung des Films wird auch die um neun Minuten längere Originalfassung angeboten. Während deren Bildqualität überzeugt, ist die Neusynchronisierung unerträglich schlecht.


Die Extras umfassen neben dem deutschen Kinovorspann und dem deutschen Kinotrailer ein rund 30-minütiges Audio-Interview mit Giuseppe De Santis, in dem der Regisseur die Produktion des Films vom Casting bis zum Erfolg an den Kinokassen nachzeichnet. Dazu kommt ein Audiokommentar von Rolf Giesen, der wie gewohnt detaillierte Informationen zum historischen Hintergrund, der Geschichte des italienischen Films und zum Filmteam von Produzent Dino de Laurentiis über den Regisseur Giuseppe De Santis bis zu den Schauspieler:innen bietet, aber nur punktuell konkret auf Filmszenen eingeht, sowie ein Booklet mit einem informativen Text von Roland Mörchen zum Film sowie Informationen zu den Darsteller:innen.


Trailer zu "Bitterer Reis - Riso amaro"



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