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  • AutorenbildWalter Gasperi

Bildmächtige Dokumentarfilme und schräge Komödien: Michael Glawogger

Michael Glawogger (1959 - 2014)

Mit den großen Dokumentarfilmen "Megacities" (1998), "Workingman´s Death" (2005) und "Whore´s Glory" (2011) feierte Michael Glawogger internationale Erfolge, aber er reüssierte auch mit schrägen Wiener Komödien wie "Nacktschnecken" (2003) oder "Slumming" (2006). – Das Österreichische Filmmuseum widmet dem gebürtigen Grazer anlässlich seines 10. Todestags am 22. April eine Retrospektive.


Auf einen Nenner lässt sich das Werk des am 3. Dezember 1959 geborenen Grazers nicht bringen. Wie ein Ausgleich zu seinen bildmächtigen Dokumentarfilmen, die ihn um die Welt führten, wirken seine regionalen Komödien mit ihrem Hang zum Surrealen und Anarchischen.


Nach der Matura am Akademischen Gymnasium in Graz besuchte Glawogger zunächst von 1981 bis 1982 das San Francisco Art Institute, ehe er von 1984 bis 1989 an der Wiener Filmakademie studierte. In dieser Zeit entstand in Zusammenarbeit mit Ulrich Seidl mit "Krieg in Wien" (1989) sein erster zweiminütiger Kurzfilm, ehe 1995 mit "Die Ameisenstraße" sein Spielfilmdebüt folgte, in dem er vom Verfall eines Mietshauses und seiner Bewohner:innen erzählte.


Der internationale Durchbruch gelang ihm mit dem Dokumentarfilm "Megacities" (1998), der als erster österreichischer Film zum Sundance Film Festival eingeladen wurde. Wie er – zusammen mit Kameramann Wolfgang Thaler, der zu einem zentralen Wegbegleiter wurde - in großartigen Tableaus das Leben der Unterschichten und Verlierer der Globalisierung in den Großstädten Bombay, Mexico City, Moskau und New York in großartigen Bildern einfing, rief aber nicht nur Begeisterung hervor, sondern brachte ihm auch den Vorwurf der Ästhetisierung des Elends ein.


Gefunden hatte Glawogger mit diesem Film aber den Stil für seine Dokumentarfilme, denn auch in den folgenden "Workingman´s Death" (2005) und Whore´s Glory" (2011) spannte er einerseits den Bogen um die Welt und fokussierte andererseits auf den Rändern der Gesellschaft.


Während er in "Workingman´s Death" in fünf bildgewaltigen Kapiteln anhand des Kohleabbaus in einem offiziell aufgelassenen Bergwerk in der Ukraine, des Schwefelabbaus in Indonesien, der Arbeit von Stahlarbeitern in China, auf einem Schlachthof im nigerianischen Port Harcourt sowie bei der Verschrottung eines alten Tankers in Pakistan einen Eindruck von der in der westlichen Dienstleistungsgesellschaft verschwindenden körperlichen Schwerarbeit vermittelt, so begleitet er in "Whore´s Glory" Prostituierte und ihre Kunden in Thailand, Bangladesch und Mexiko und lässt sie über ihre Arbeit und ihre Sehnsüchte erzählen.


Auf einen Kommentar verzichtet Glawogger dabei. Er spart Hintergründe aus, überhöht aber die einzelnen Szenen immer wieder durch die visuelle Gestaltung, Sounddesign und Musik.


Noch weiter wollte er mit einem "Film ohne Namen" ausholen, für den er sich auf eine einjährige Reise um die Welt begab, um Bilder und Töne zu sammeln. Doch zur Fertigstellung des Films kam es nicht mehr, denn während dieser Reise erkrankte Glawogger in Liberia. Zu spät erkannten die lokalen Ärzte, dass es sich dabei um eine besonders aggressive Form von Malaria handelte, sodass zu spät ein Notflug organisiert wurde und Glawogger auf dem Flughafen von Monrovia am 22. April 2014 verstarb.


Nach seinem Tod hat seine Stamm-Editorin Monika Willi das 70 Stunden umfassende Filmmaterial gesichtet und zum Dokumentarfilm "Untitled" (2017) montiert, der mit seinem assoziativen Fluss der Bilder viel von Glawoggers Interesse am Unbekannten und seiner Entdeckungsfreude vermittelt.


Diese Offenheit des österreichischen Filmemachers zeigt sich auch darin, dass sich sein Oeuvre nicht auf seine großen Dokumentarfilme beschränken lässt. Wie ein Gegenpol dazu wirken die leicht surrealen Komödien, die dazwischen entstanden. Statt in die Ferne zu schweifen, blieb Glawogger dabei in seiner nächsten Umgebung.


Drei Grazer Ex-Studenten, die hoffen mit dem Dreh eines Sex-Films das große Geld zu machen, stehen so im Mittelpunkt der flippigen Sex-Klamotte "Nacktschnecken" (2003). Ganz im Gegensatz zu den Dokumentarfilmen wird hier keine Perfektion mit sorgfältig ausgeleuchteten und genau kadrierten Bildern angestrebt, sondern Ungezwungenheit ist zentral und gerade durch die rohe und billige, teilweise durchaus auch als dilettantisch zu bezeichnende Machart gewinnt "Nacktschnecken" Echtheit und Charme.


Auch in Slumming" (2006), mit dem Glawogger in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen wurde, stehen mit zwei jungen Erwachsenen, die in Wiener Lokalen herumhängen und es genießen mit Menschen, vor allem mit Frauen wie mit Gegenständen zu spielen, stehen zwei Underdogs im Zentrum.


Wie sich die Protagonisten dabei ziellos treiben lassen, so mäandert auch "Slumming" dahin. Wichtiger als stringente Handlungsführung ist die Zeichnung markanter Typen und die atmosphärisch dichte Verankerung im Wiener Unterschichtmilieu, das Kameramann Martin Gschlacht stimmig beschwört.


Um eine durchgeknallte Drogenkomödie handelt es sich dagegen bei "Contact High" (2009), in dem zwei Betreiber einer Wiener Würstelbude in Polen eine Reisetasche abholen sollen, hinter der aber auch ein Kleinkrimineller und der Besitzer einer Autowerkstatt her sind. Weil die Figuren aber Drogen nicht abgeneigt sind, kommt es dabei bald zu wilden Verwechslungen und Wendungen, die diesen Film einen kaum weniger surrealen und anarchistischen Anstrich geben wie die Drogenträume, die sich durch ihn ziehen.


Aber auch ernste Spielfilme fehlen im Schaffen Glawoggers nicht. So setzt er sich in der Verfilmung von Josef Haslingers Roman "Das Vaterspiel" (2009) mit der familiären Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen auseinander und mit "Die Frau mit einem Schuh" (2014) gelang ihm eine hochgelobte Folge der TV-Serie "Landkrimi". – Deutlich macht der Blick auf dieses vielfältige Werk, welch große Lücke der frühe Tod dieses stets für Neues offenen Regisseurs im österreichischen Filmschaffen hinterlassen hat.



Weitere Informationen und Spieltermine der Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum finden Sie hier.


Trailer zu "Workingman´s Death"




 

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