
Nur zwei Jahre nach Erscheinen von Alfred Döblins Jahrhundertroman folgte die erste Verfilmung. Den revolutionären Erzählstil Döblins übernahm Phil Jutzi zwar nicht, aber durch quasidokumentarische Aufnahmen des Großstadtlebens und eine starke schauspielerische Leistung von Heinrich George in der Rolle des Franz Biberkopf überzeugt dieses Drama, das bei Filmjuwelen auf DVD und Blu-ray erschienen ist, immer noch.
Mit seiner von James Joyces` "Ulysses" und John Dos Passos` "Manhattan Transfer" beeinflussten assoziativen Erzählweise gilt Alfred Döblins 1929 erschienener Großstadtroman "Berlin Alexanderplatz" als Meisterwerk der deutschen Literatur. Im Gegensatz zur Multiperspektivität des fast 500-seitigen Romans, den Rainer Werner Fassbinder 1980 als 15-stündige Fernsehserie verfilmte und Burhan Qurbani 2020 mitreißend in die Gegenwart verlegte, erzählt Phil Jutzi linear und weitgehend aus der Perspektive des Protagonisten Franz Biberkopf (Heinrich George).
Die Mauern der Strafanstalt Tegel und der Blick auf vergitterte Fenster wecken von Beginn an die Ahnung, dass es für den Transportarbeiter, der wegen des Totschlags seiner Geliebten, vier Jahre im Gefängnis saß, auch nach der Entlassung keine Freiheit geben wird. Gefangen scheint er in dieser Welt wie der Vogel, mit dem er in seiner Stammkneipe mehrfach spricht, in seinem Käfig.
Eindrücklich vermittelt Jutzi, wie überfordert Biberkopf nach diesen vier Jahren Haft mit der Großstadt Berlin ist. Am liebsten scheint er zunächst wieder im Gefängnis Zuflucht suchen zu wollen, nimmt dann aber doch die Straßenbahn. In schneller Montage von Großstadtszenen wie den Straßenbahnschienen, berittener Polizei am Straßenrand, dichtem Verkehr und vielfältiger Bautätigkeit wird dicht ein Bild vom dynamisch-pulsierenden Großstadtleben vermittelt.
Man spürt in Heinrich Georges Spiel die psychische Belastung und Verunsicherung Biberkopfs. Ein anständiges Leben möchte er nun führen, dabei aber nicht auf seine körperliche Kraft als vielmehr auf seine Schnauze setzen.
Als Straßenverkäufer von Krawattenhaltern versucht er so am Alexanderplatz sein Geld zu verdienen. Doch der Bandenführer Reinhold (Bernhard Minetti), auf den Biberkopf in seiner Stammkneipe trifft, versucht den Ex-Häftling für sich zu gewinnen. Helfen soll Reinhold dabei Cilly (Maria Bard), doch diese verliebt sich in Franz und versucht ihn Reinholds Einfluss zu entziehen. Dennoch fällt der naive Mann auf den Ganoven herein und will auch, nachdem er durch Reinholds Schuld einen Arm verloren hat, in dessen Bande mitwirken.
Nach den starken, quasidokumentarischen Großstadtszenen am Beginn, die an Walter Ruttmanns "Berlin – Sinfonie einer Großstadt" erinnern, fokussiert Jutzi stärker auf Biberkopf. Kraftvoll und mit großer physischer Präsenz, aber auch theatralisch wird dieser Underdog von Heinrich George gespielt. An die Stelle der pulsierenden Großstadtszenen tritt dabei bald die realistische Milieuschilderung der Kneipe, der engen Wohnung oder des Hinterhofs eines Mietshauses, in dem Franz die Straßensängerin Mieze kennenlernt.
So mag die Handlung zwar melodramatisch sein, dennoch gewinnt sie durch die Verankerung in diesem realistisch eingefangenen Milieu an Kraft. Gleichzeitig vermittelt "Berlin Alexanderplatz" in dieser Milieuschilderung auch einen starken und authentischen Eindruck vom Berlin der ausgehenden Weimarer Republik und funktioniert damit auch als stimmiges Zeitporträt.
An Sprachversionen bieten die bei Filmjuwelen erschienene DVD und Blu-ray die deutsche Originalfassung, zu der Untertitel für Hörgeschädigte zugeschaltet werden können. Die Extras beinhalten neben dem Trailer eine 80-minütige Hörspielfassung des Romans sowie eine 65-minütige Dokumentation über den Hauptdarsteller Heinrich George. Dazu kommt ein informatives Booklet mit Texten zum Inhalt des Films, zu Döblins Roman und der Entstehung des Films, dem Alexanderplatz als Filmkulisse und zu den Hauptdarsteller:innern sowie zeitgenössische Pressestimmen.
Trailer zu "Berlin Alexanderplatz" (1931)
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