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AutorenbildWalter Gasperi

Berlin Alexanderplatz


Burhan Qurbani hat Alfred Döblins 1929 erschienenen großen Roman über den Leidensweg des Franz Biberkopf fürs 21. Jahrhundert aktualisiert. – Kein perfekter, aber ein wuchtiger und kraftvoller Film, voll großer Bilder, stark gespielt und mit reicher filmischer Textur.


Schwarz ist die Leinwand, während man zunächst schweren Atem, dann ein Gespräch zweier Liebender hört. Auf dem Kopf stehen die ersten Bilder, verzweifelt kämpfen zwei Menschen im Meer ums Überleben, eine rote Leuchtrakete steigt am nächtlichen Himmel auf, bis sich der Mann schließlich allein an den Strand rettet.


Stark fragmentiert ist diese Szene. Eine Off-Erzählerin meldet sich zu Wort, durchbricht die vierte Wand der Illusion und spricht das Kinopublikum direkt an, nimmt den Verlauf der Ereignisse vorweg, wenn sie erklärt dass man in fünf Teilen Francis begleiten wird bei seinem Versuch ein guter Mensch zu sein und ihn dreimal straucheln und am Leben zerbrechen sehen wird.


So dicht und polyphon dieser fulminante Auftakt ist, sind zumindest die ersten zwei Stunden dieser 183-minütigen Döblin-Verfilmung von Burhan Qurbani. Nachdem schon Phil Jutzi zwei Jahre nach Erscheinen des Romans „Berlin Alexanderplatz“ mit Heinrich George in der Hauptrolle erstmals verfilmt hat und Rainer Werner Fassbinder 1980 seine legendäre 15-stündige Fernsehfassung folgen ließ, hat der 1980 als Sohn afghanischer Flüchtlinge in Deutschland geborene Qurbani die Vorlage radikal aktualisiert, lässt aber auch durch die allwissende Kommentatorin aus dem Off immer wieder Passagen aus Döblins Roman einfließen.


Aus dem Arbeiter Franz Biberkopf ist so Francis (Welket Bungué) aus Guinea Bissau geworden. Einblick in die traumatischen Ereignisse bei der Überfahrt über das Mittelmeer bietet Qurbani erst sukzessive in Erinnerungsfetzen des Protagonisten. Nachdem er sich ans europäische Ufer gerettet hat, landet er schließlich in Berlin, wo er als Illegaler ohne Papiere und Arbeitserlaubnis auf einer Großbaustelle arbeitet und bald auf den mephistophelischen Verführer Reinhold (Albrecht Schuch) trifft. Mit dem Versprechen von Wohlstand und einem bürgerlichen "deutschen Leben" ködert er im Flüchtlingsheim Leute für den Drogenverkauf im Berliner Volkspark Hasenheide.


Reinhold ist aber wieder Handlanger des Gangsterbosses Pums (Joachim Król), der mit seiner Truppe um Reinhold auch Juweliergeschäfte überfällt und anschließend in Nachtclubs feiert. Immer tiefer fällt so Francis, der von einem deutschen Pass träumt, und wird auch von seinem vermeintlichen Freund Reinhold verraten. In der Liebe zum Luxus-Callgirl Mieze (Jella Haase) scheint er das Glück zu finden, bis wieder Reinhold in sein Leben tritt.


Dass hier eine Leidensgeschichte erzählt wird, machen auch mehrmals Traumbilder von einem von Neonlicht erhellten Kreuz und einem Stier, der zur Opferbank geführt wird, deutlich. Auf diese Symbolik hätte Qurbani verzichten können, denn er versteht es auch sonst – zumal in den ersten zwei Stunden – mit dynamischer Erzählweise und starker Bildsprache zu packen.


Großartig ist sein Gespür für Schauplätze von einer unterirdischen Großbaustelle über das desolate Asylantenheim bis zu einer Bierkneipe und einem Nachtclub. Meisterhaft arbeitet er mit Licht und Farbe, generiert starke Kinobilder und evoziert auch mit einer vielstimmigen Tonkulisse dichte Atmosphäre und treibenden Rhythmus. Fließend gehen hier die Off-Stimme, mehrsprachige Dialoge und variantenreiche Musik, die sich von Elektrosound über einen deutschen Schlager bis zu Opernmusik im Finale und das Reinhold begleitende „Oh My Darling Clementine“ spannt, ineinander über.


Dass hier energetisches und kraftvolles Kino geboten wird, das an die Gangsterfilme eines Martin Scorsese erinnert, ist aber auch zu einem nicht geringen Teil Yoshi Heimraths Kameraarbeit zu verdanken. Kaum einmal gibt es ganz ruhige Einstellungen, auch bei Gesprächen ist die Kamera immer leicht in Bewegung, kreist dann wieder lange um die Protagonisten, weicht vor dem vorwärtsschreitenden Francis zurück oder vermittelt mit God´s Eye Views die Ausgeliefertheit und Ohnmacht von Francis.


Intensiv gelingt es auch Welket Bungué den Lebenshunger von Francis, sein Bemühen ein anständiger Mensch zu werden und seine Sehnsucht nach Heimat zu vermitteln, während Albert Schuch als psychopathisch-dämonischer Reinhold und Joachim Król als nach außen kultivierter, aber im Kern gnadenloser Gangsterboss brillieren. Allein Jella Haase als Mieze bleibt etwas blass und wenn dieses Drama mit ihrem Auftauchen ruhiger wird, stellen sich gegen Ende auch Längen ein.


Gerade im Vergleich zu den filmisch aufregenden und mitreißenden ersten zwei Stunden fallen die intimeren Szenen des letzten Drittels nämlich etwas ab. Gering wiegen aber solche Einwände angesichts der Größe dieses Projekts und der eindrucksvollen Behandlung der Ambivalenz und Abgründigkeit des Menschen, der tiefen Sehnsucht nach Heimat sowie der Fragen, inwieweit das Milieu das Schicksal eines Menschen bestimmt und wie viel man denn im Leben ertragen kann, bis man zerbricht.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos (z. B. Kinok, St. Gallen) und Skino Schaan - Ab 16. Juli in den deutschen und ab 6. August in den österreichischen Kinos

Trailer zu "Berlin Alexanderplatz"



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