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AutorenbildWalter Gasperi

Balloon


Ruhig und in großartigen Bildern erzählt Pema Tseden von einer tibetischen Bauernfamilie zwischen Tradition und Moderne, zwischen Spiritualität und Realität.


Fern der Städte leben Darje (Jinpa) und Drolkar (Sonam Wangmo) mit ihren drei Söhnen und dem Großvater im tibetischen Hochland von der Schafzucht. Großartig fängt die Kamera von Songye Lu die weiten Grasebenen und den hohen Himmel ein. Doch auch hier ist die Zeit nicht stehengeblieben und der Großvater beklagt, dass Darje nicht mehr mit dem Pferd reitet, sondern mit dem Motorrad fährt.


Ein weiteres Indiz dieser Veränderung, sind die Ballone, mit denen die beiden kleineren Söhne des Paares spielen. Denn eigentlich sind das keine Ballone, sondern Kondome, die die Kinder unter den Kissen des Bettes der Eltern gefunden haben. Knapp sind sie in Tibet, doch unerlässlich, denn die Handlung spielt in den 1980er Jahren und China hat die Ein-Kind-Politik eingeführt. Ein weiteres Kind würde zu einer hohen Geldstrafe führen.


Platt ist zwar die Parallelisierung von Darjes ständiger sexueller Lust mit der eines Schafbocks, den er zum Decken seiner Schafe von einem Freund ausleiht, doch einfühlsam vermittelt "Balloon" die zunehmende Ablehnung Drolkars gegenüber dem sexuellen Drängen ihres Mannes.


Was mit dem Spiel der Kinder mit den Kondomen wie eine Komödie beginnt, entwickelt sich so zunehmend zum Drama. Immer wieder sorgen die Kondome, über die man in der prüden Gesellschaft vor den Kindern und dem Großvater nicht offen zu sprechen wagt, zwar für Komik, aber im Zentrum steht doch Drolkar, der eine Ärztin in der Stadt zunächst rät, sich sterilisieren zu lassen, dann, als sie doch schwanger wird, abzutreiben. Langsam lässt so der Kontakt mit der Moderne Drolkar über ihre Rolle nachdenken und den Entschluss wachsen, ihren eigenen Weg zu gehen.


Der tibetische Autor und Filmemacher Pema Tseden erzählt diese Familiengeschichte trotz der Dramatik, die in ihr steckt, mit großer Ruhe. In langen Einstellungen schildert er mit teilweise dokumentarischem Blick das alltägliche Leben und lässt den Zuschauer in diese bäuerliche Welt eintauchen. Zu verschmerzen ist der Fehler, dass hier einmal ein Handy zum Einsatz kommt, obwohl es dies in den 1980er Jahren noch gar nicht gab.


Geweitet wird das Bild des geringen Spielraums der Frauen durch die Geschichte von Drolkars Schwester, die nach einer offensichtlich unglücklichen Beziehung mit einem Mann in ein buddhistisches Kloster eingetreten ist. Wie mit ihr auch dem bodenständigen bäuerlichen Leben das spirituelle Leben gegenübergestellt wird, so kommt dies auch mit einem Todesfall ins Spiel. Da nämlich der buddhistische Glaube an die Wiedergeburt der Seele in einem neuen Körper eine Abtreibung verbietet, steht Drolkar vor dem Dilemma ihr Leben diesem spirituellen Gedanken unterzuordnen oder aber ihr Glück in der Realität auf Erden zu suchen. Denn vielleicht wird die Seele ja auch gar nicht in einem Menschen wiedergeboren, sondern fliegt so frei wie die Ballone.


Ganz einfach ist das erzählt, aber mit viel Gefühl für diese Welt und ihre Menschen und bewahrt mit der ruhigen und poetischen Erzählweise, zu der auch Traumbilder beitragen, trotz des Ernsts und der Schwere des Themas große Leichtigkeit, verlangt im weitgehenden Verzicht auf Dramatisierung aber auch Geduld.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos - z.B. im Kinok in St. Gallen und im Skino in Schaan.


Trailer zu "Balloon"



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