
13 Jahre nach "Avatar" kehrt James Cameron auf den erdähnlichen Mond Pandora und zu dessen indigenen Na´vi zurück. Wieder wird eine visuell überwältigende Welt präsentiert, aber die Geschichte ist für 190 Minuten doch dünn, die Charaktere bleiben flach.
Ein neues Seherlebnis schuf James Cameron 2009 mit "Avatar", mit dem er den 3D-Film, mit dem mäßig erfolgreich schon in den 1950er Jahren experimentiert wurde, auf eine ganz neue Stufe hob. Einen regelrechten Boom an 3D-Filmen löste dieser Blockbuster aus, der mit einem Einspielergebnis von fast drei Milliarden Dollar immer noch an der Spitze der erfolgreichsten Filme aller Zeiten steht.
Die 3D-Begeisterung ist zwar inzwischen verebbt, doch "Avatar – The Way of Water" spielt hier dennoch wieder in einer eigenen Liga. Wohl noch nie sah man so plastische Bilder im Kino. In den intensivsten Szenen hat man das Gefühl, dass der Dschungel oder das Meer sich in den Kinosaal ausbreiten. So präsent ist diese Pflanzen- und Tierwelt, so reich ist ihre Vielfalt, dass man unweigerlich in sie hineingezogen wird.
Dem Ziel, dass man diesen Blockbuster, dessen Produktion 250 Millionen Dollar verschlang, nicht sehen, sondern wirklich erleben soll, kommt Cameron hier sehr nahe. In jedem dieser großartigen Bilder spürt man nicht nur, wie viel Geld, sondern auch wie viel Liebe zum Detail in diesem Film steckt. Aufsaugen möchte man diese gestochen scharfen, hyperrealistischen Bilder förmlich und manche werden sicher tagelang im Gedächtnis haften bleiben.
Doch gleichzeitig steckt darin auch ein Problem, denn immer wieder hat man auch das Gefühl, dass sich Cameron in seiner fantastischen Bilderwelt förmlich suhlt und dabei auf stringentes Storytelling vergisst. Denn bei allem visuellem Reichtum und Augenfutter, das geboten wird, ist nicht zu übersehen, dass die Geschichte an sich doch recht dünn ist.
Zwar kann man auch den Inhalt eines Stücks Weltliteratur wie Homers "Odyssee" auf den einen Satz "Ein Mann möchte nach einem zehnjährigen Krieg nach Hause zurückkehren" reduzieren, doch es geht letztlich immer darum, wie die simple Fabel mit markanten Figuren, Binnenkonflikten und existentiellen Themen gefüllt wird.
Das Problem von "Avatar – The Way of Water" ist deshalb nicht, dass sich die Geschichte auf die Flucht einer Familie vor einem rachsüchtigen Gegner reduzieren lässt, sondern dass diese Fabel letztlich zu wenig mit intensivem zwischenmenschlichem Drama gefüllt wird.
Die Flucht des vom menschlichen Soldaten zum Na´vi mutierten James Sullys (Sam Worthington) und seiner Familie von der heimatlichen Waldregion zu einem Meeresvolk sorgt zwar visuell für betörende Momente, doch weder wird der Konflikt des Vaters mit dem nicht immer gehorsamen zweitältesten Sohn vertieft noch eine angedeutete Liebe zwischen diesem Sohn und einer Bewohnerin des Meeresvolkes. Problem ist dabei aber vielleicht auch, dass man zu diesen blauen Na´vi mit ihren spitzen Ohren und langen Schwänzen schwerer eine emotionale Bindung aufbaut als zu echten Menschen.
Auch die Aufnahme beim Meeresvolk läuft viel zu glatt ab und auch eine Prügelei zwischen den Kindern der beiden Völker löst sich bald in nichts auf. Zu simpel steht auch dem guten Sully sein grundböser Gegenspieler gegenüber. Schattierungen und spannende Ambivalenzen gibt es keine, klar gezogen sind die Grenzen von Gut und Böse.
Zutiefst konservativ ist "Avatar – The Way of Water" nicht nur in der Beschwörung der Kraft und Stärke der klassischen Kleinfamilie, sondern auch im Rollenbild, wenn Sully trotz seiner starken Na´vi-Ehefrau Neytiri (Zoe Saldana) doch klar die bestimmende Kraft ist. Der Konservativismus kommt aber auch in der Verklärung der archaischen Wald- und Meeresbewohner:innen Pandoras als edle Wilde zum Ausdruck, denen die aggressiven Menschen gegenübergestellt werden.
Hier treffen nicht nur Lanze sowie Pfeil und Bogen auf High-Tech-Waffen, Helikopter und Schnellboote und Wissenschaft auf spirituelle Heilkunst, sondern einem Leben in Einklang mit der Natur wird auch deren rücksichtslose Ausbeutung gegenübergestellt, wenn die walartigen Tulkune einzig wegen eines sehr wertvollen Sekrets gejagt und getötet werden. Durchaus aktuelle gesellschaftskritische Töne schlägt Cameron mit der Kritik an diesem Raubbau an der Natur und an dem militärischen und kolonialistischen Auftreten der Truppe um Colonel Quaritch (Stephen Lang) an, doch im Zentrum steht die persönliche Rache Quaritchs.
Doch hier fehlt es dem Film letztlich an Stringenz, denn im Mittelteil verliert Cameron diese Haupthandlung für längere Zeit völlig aus den Augen. Ausgiebig widmet er sich vielmehr dem Reittraining mit Flugsauriern, mit denen aus Western bekannte Rodeo-Szenen variiert werden, oder dem Eintauchen von Sullys Kinder in die fantastische Unterwasserwelt.
Wie hier Passagen einerseits von "Jaws – Der weiße Hai", andererseits von "Flipper" beeinflusst scheinen und das Ende auch Assoziationen an Camerons Welterfolg "Titanic" wecken kann, so ist der ganze Film im Kern natürlich nichts anderes als ein in den Weltraum verlegter historischer Film. Im Grunde macht Cameron nämlich nichts anderes, als die Pocahontas-Geschichte oder klassische Indianer-Western aus der Perspektive der Indigenen zu erzählen. Besonders deutlich wird das bei der Landung der Aggressoren in einem Küstendorf und ihrem brutalen Vorgehen gegen die Bewohner:innen. - Inhaltlich bietet "Avatar - The Way of Water" somit nichts Neues und lebt einzig von seiner visuellen Kraft. Diese ist allerdings wirklich sensationell!
Avatar – The Way of Water USA 2022 Regie: James Cameron mit: Zoe Saldana, Sam Worthington, Kate Winslet, Michelle Yeoh, Oona Chaplin, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Cliff Curtis, Joel David Moore Länge: 193 min.
Läuft derzeit in zahlreichen Kinos
Trailer zu "Avatar - The Way of Water"
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