In einem vor der Schließung stehenden abgelegenen sardischen Gefängnis müssen einige Aufseher die letzten zwölf Häftlinge bewachen: Kein klassischer Gefängnisfilm, sondern ein dicht inszeniertes und großartig gespieltes Kammerspiel um Machtverhältnisse, gesellschaftliche Spaltung und langsame Annäherung.
Nach einer Jagd sitzt eine Gruppe von Gefängniswärtern um ein nächtliches Lagerfeuer und feiert die Schließung des abgelegen im sardischen Bergland gelegenen Gefängnisses Mortana. Doch bei der Rückkehr in den aus dem 19. Jahrhundert stammenden und langsam verfallenden Bau müssen sie von der Direktorin erfahren, dass aus Platzgründen nicht alle Häftlinge sofort verlegt werden können.
Ein Teil der Aufseher muss deshalb zurückbleiben und die übrigen zwölf Insassen bewachen. Ein Notbetrieb soll geführt werden: Die Küche und die Gemeinschaftsräume bleiben geschlossen, Essen soll von außen geliefert werden und keine Besuche sollen erlaubt sein, da die Verlegung in ein anderes Gefängnis in wenigen Tagen erfolgen soll.
Die Leitung wird dem dienstältesten Beamten Gaetano (Toni Servillo) übergeben. Ruhig und besonnen agiert dieser, während die Aggressionen des etwas jüngeren Franco (Fabrizio Ferracane) gegenüber den Häftlingen nicht zu übersehen sind. Aber auch unter den Häftlingen werden Spannungen spürbar, als sie in einen noch benutzten Trakt der Anlage gebracht werden: Die einen wollen nicht mit einem Araber in die Zelle, andere äußern sich negativ über einen "Zigeuner" und alle grenzen den alten Arzano aus.
Bald kommt mit dem jungen Fantaccini (Pietro Giuliano) ein weiterer, im Gefängnis schon bekannter Straftäter dazu, der nach einem Straßenraub verhaftet wurde. Wird der geistig etwas zurückgebliebene Mann von den anderen Häftlingen zunächst gemobbt, weil er die Wärter bei der Essensausgabe unterstützt, so nehmen sie sich doch bald des Suizidgefährdeten an, muntern ihn auf und unterstützen ihn.
Streng und hart sind dagegen die Grenzen zwischen den Häftlingen und den Aufsehern: Die einen befehlen, die anderen haben zu gehorchen. Keine gemeinsame Kommunikationsbasis scheint es zu geben. Auf jede Kritik der Gefangenen reagieren die Aufseher mit scharfen Kommentaren und der Androhung von Konsequenzen.
Von der Wand bröckelnder Putz betont den desolaten Zustand der Anlage und die Reduktion der Farbpalette auf kalte Grau-, Blau- und Grüntöne durch Paolo Sorrentinos Stammkameramann Luca Bigazzi verstärkt die beklemmende Stimmung. Keine innere Bewegung scheint in diesem klassischen Huis clos möglich, alles scheint durch die Strukturen und Positionen festgelegt und verhärtet.
Im Titel "Ariaferma" ("Verriegelte / geschlossene Luft") kommt dabei diese innere Versteinerung, in der keine zwischenmenschlichen Regungen möglich scheinen, ebenso zum Ausdruck wie in einer Abfolge von Bildern isolierter Felsblöcke während des Vorspanns.
Durch die Konzentration auf das Gefängnis als einzigen Schauplatz und diese Männergesellschaft entwickelt Leonardo Di Costanza große Intensität. Genau ist sein Blick auf die sorgfältig gecasteten Figuren, macht unterschiedliche Charaktere sichtbar. Als die Häftlinge gegen das vorgekochte Essen protestieren und fordern selbst in der schon geschlossenen Küche kochen zu dürfen, treten auch Spannungen unter den Aufsehern zu Tage.
Während die einen nämlich keinen Zentimeter nachgeben wollen, beschließt Gaetano auf die Häftlinge zuzugehen und erlaubt dem Mafiosi Lagioia (Silvio Orlando) in der Küche für Aufseher und Häftlinge zu kochen. So kommt in den Beziehungen langsam etwas in Bewegung und immer deutlicher tritt nicht nur die Solidarität unter den Häftlingen zu Tage, sondern auch eine Annäherung zwischen Pesonal und Insassen scheint möglich.
Genau durchleuchtet Di Costanza dabei anhand des Aufsehers Gaetano und des Mafiosi Lagioia die Machtspiele in diesem Kontext und deren Dynamik. Während Gaetano aufgrund seiner amtlichen Position alles bestimmen kann, versucht ihn Lagioia mit Argumenten zu überzeugen und zu lenken. Eindringlich vermittelt das Spiel Toni Servillos und Silvio Orlandos dieses Machtspiel. Servillos Zurückhaltung und Ruhe steht Orlandos scheinbare Sanftheit, hinter der man immer auch Tücke vermuten kann, gegenüber.
Über den Gefängniskontext hinaus erzählt so Di Costanza anhand dieser beiden Protagonisten, wie Machtstrukturen Gräben schaffen, wie gesellschaftliche Positionen trennen und wie lange es braucht, festgefahrene Strukturen aufzubrechen und hinter dem anderen auch den Menschen zu sehen. Dramatische Gefängnisszenen sind dabei nicht nötig, sondern das exzellente Ensemble und eine dichte und konzentrierte Inszenierung reichen völlig aus, um die angespannte Stimmung, die stets in einen offenen Konflikt kippen kann, zu vermitteln und zwei Stunden zu packen.
Ariaferma Italien / Schweiz 2021 Regie: Leonardo Di Costanza mit: Toni Servillo, Silvio Orlando, Fabrizio Ferracane, Salvatore Striano, Roberto De Francesco, Pietro Giuliano Länge: 117 min.
Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.
Trailer zu "Ariaferma"
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