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  • AutorenbildWalter Gasperi

After Love


Eine britische Muslima entdeckt nach dem Tod ihres Mannes, dass dieser ein Doppelleben führte. – Aleem Khan gelang, unterstützt von einer großartigen Joanna Scanlan in der Hauptrolle, mit seinem Debüt ein leises, aber bewegendes Drama über Verlust, Trauer und den schwierigen Umgang mit elementaren Erschütterungen.


Schon mit der ersten Einstellung demonstriert der pakistanischstämmige Brite Aleen Khan seine formale Meisterschaft, ohne diese freilich auszustellen: Während im Vordergrund Mary (Joanna Scanlan) für ihren Gatten Ahmed (Nasser Memarzia) in der Küche Tee zubereitet und über die anstehende Feier anlässlich der Geburt eines Babys spricht, macht er es sich im Hintergrund im Wohnzimmer bequem. - Entschleunigtes Kino lässt diese lange Einstellung erwarten, doch in dieses Schema lässt sich Khan nicht pressen. Zwar wird er auch in der Folge den Bildern Zeit lassen, dies aber nie übertreiben, sondern vielmehr meisterhaft den Rhythmus kontrollieren.


Mit dem Ende der ersten Einstellung ist Ahmed, der als Fährkapitän zwischen Dover und Calais pendelte, auch schon tot und unmittelbar schließt die Trauerfeier an. In Weiß gekleidet sitzt Mary zwischen anderen verschleierten Frauen in Schwarz. Britin ist sie zwar, aber aus Liebe zu Ahmed vor Jahren zum Islam konvertiert. Schon mit 14 hat sie ihren Mann kennengelernt und geheim mussten sie ihre Liebe zunächst halten.


Doch sichtlich hat sich Mary in die muslimische Community integriert, ist mit Ahmed auch nach Pakistan gereist, hat Urdu gelernt, kocht pakistanische Speisen und kleidet sich auch gemäß muslimischer Tradition. Das Wasser steht ihr bei der Trauerfeier zwar in den Augen, dennoch wirkt sie gefasst.


Wie die abbrechenden weißen Kalkfelsen an der Küste von Dover wirkt sie durch den Tod des Mannes erschüttert, auch innerlich gefangen zwischen den Wänden im langen Gang ihres Einfamilienhauses. Doch dann entdeckt sie im Portemonnaie Ahmeds den Ausweis einer Französin namens Geneviève (Nathalie Richard) und bald auch auf seinem Handy einen Chat mit dieser in Calais lebenden Geliebten.


An die Stelle der Trauer kommt eine Erschütterung, das Gefühl betrogen worden zu sein und großartig vermittelt Joanna Scanlan mit ihrem zurückhaltenden, aber intensiven Spiel diese ebenso tiefen wie widersprüchlichen Gefühle Marys. Ganz aus ihrer Perspektive erzählt Khan und lässt die Zuschauer*innen mit ihren Augen auf diese Geneviève blicken, die sie bald in Calais aufsucht.


Zwar möchte sie sich als Gattin von Ahmed vorstellen, doch fehlt ihr dazu im entscheidenden Moment der Mut. So lässt sich Mary von Geneviève, die gerade mit einem Umzug beschäftigt ist, in die Rolle der Putzfrau drängen. Der Dialog bleibt dabei reduziert, wichtiger sind die Blicke und Entdeckungen Marys.


Gänzlich unterschiedliche Frauen treffen mit dieser Begegnung aufeinander. Denn der duldsamen Mary, die sich den pakistanischen Wurzeln Ahmeds angepasst hat, steht mit Geneviève eine selbstbewusste westliche Geschäftsfrau gegenüber, die stets per Handy Dinge regeln muss. Verstärkt werden die Gegensätze nicht nur durch die gänzlich unterschiedliche Art sich zu kleiden, sondern auch durch das Körperliche, wenn der schlanken Französin die übergewichtige Britin gegenübersteht.


Aber auch hinter ein weiteres Geheimnis kommt Mary bald, das sie immer tiefer in dieses fremde Leben eintauchen lässt. Denn dort findet sie auch das, was sie selbst vor Jahren verloren hat.


Wunderbar kontrolliert und konzentriert ist das inszeniert. Sukzessive weitet Khan den Blick, bringt neue Aspekte ins Spiel und verdichtet Schritt für Schritt das Bild der beiden gegensätzlichen Frauen. Gleichzeitig wird in diesen auch Ahmeds eigene Zerrissenheit zwischen den Kulturen spürbar. Wie er als Kapitän zwischen Dover und Calais pendelte, so pendelte er auch zwischen seinen pakistanischen Wurzeln und westlichem Leben. Mit Joanna Scanlan und Nathalie Richard hat Khan ideale Verkörperungen dieser Pole gefunden.


An metaphorischen Bildern fehlt es dabei nicht, doch nie wirken diese aufgesetzt, sondern ergeben sich organisch aus der Geschichte. Auch drückt Khan nie auf die Emotionen, sondern inszeniert mit Feingefühl und setzt auch Musik nur reduziert ein. Gerade aus seiner Zurückhaltung entwickelt "After Love" aber seine große emotionale Kraft und Dichte.


Hier gibt es keinen falschen Ton, sondern alles passt perfekt zusammen und im sorgfältigen symmetrischen Aufbau steht auch dem Beginn in England und dem Hauptteil in Calais ein Finale in Dover gegenüber, in dem nun auch die Trauer von Geneviève ihren Platz erhält. Gleichzeitig scheinen die Protagonistinnen über die gemeinsame Trauer auch zueinander zu finden und sich aus dem Schmerz über Verlust und Betrug ein hoffnungsvoller Weg in die Zukunft zu öffnen. Wenn sie am Ende an den Klippen von Dover stehen und eine Kamerarückwärtsfahrt den Raum immer weiter öffnet, dann signalisiert diese Bewegung von der Enge der Wohnung am Beginn zur Weite am Ende auch eine innere Befreiung und Lösung Marys.



After Love Großbritannien 2020 Regie: Aleem Khan mit: Joanna Scanlan, Nathalie Richard, Talid Ariss, Nasser Memarzia, Sudha Bhuchar, Nisha Chadha, Jabeen Butt Länge: 89 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "After Love"



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