top of page
  • AutorenbildWalter Gasperi

Olga


Die 15-jährige ukrainische Turnerin Olga träumt 2013 im Schweizer Exil von sportlichem Erfolg, während in ihrer Heimat auf dem Kiewer Maidan-Platz die Proteste des Volkes gegen Präsident Janukowytsch eskalieren. – Elie Grappe gelingt es in seinem Langfilmdebüt, das die Schweiz heuer ins Oscar-Rennen schickte, souverän mehrere Themen zu einem schlüssigen und vielschichtigen Drama zu verweben.


Selten sah man in einem Spielfilm wohl so aufregende Turnszenen wie in "Olga". Hautnah vermitteln Elie Grappe und seine Kamerafrau Lucie Baudinaud die Anspannung der jungen Athletinnen vor ihrem Auftritt, die Genauigkeit der Griffe am Stufenbarren, die atemberaubenden Sprünge, aber auch die Härte des Trainings und den unermüdlichen Einsatz, der hinter diesen Leistungen steckt.


Dass diese Szenen so überzeugen, liegt auch daran, dass der 28-jährige Regisseur seinen ersten langen Spielfilm nicht mit Schauspieler*innen besetzte, sondern mit echten Turner*innen. Die Protagonistin und ihre Freundin spielen so Athlet*innen der Reserve-Nationalmannschaft der Ukraine und die Schweizer Turner*innen und Trainer*innen teilweise Mitglieder der Schweizer Nationalmannschaft.


Aber Anastasia Budhiashkina überzeugt nicht nur in den Turnszenen, sondern vermittelt in dem 2013 spielenden Film auch eindrücklich und bewegend die schwierige persönliche Situation der 15-jährigen Olga. Deren großes Ziel ist es mit der ukrainischen Mannschaft zur Europameisterschaft zu fahren. Als aber auf sie und ihre Mutter, die eine regierungskritische Journalistin ist, nachts ein Anschlag verübt wird, wird Olga in die sichere Schweiz geschickt. Dort soll sie in der Familie des verstorbenen Vaters leben und ihre Turnkarriere in der Schweizer Mannschaft fortsetzen.


Dichte entwickelt "Olga" schon durch die geschickte Verknappung dieser Exposition. Mehr Zeit lässt sich Grappe bei der Schilderung von Olgas Leben in der Schweiz, öffnet aber gleichzeitig eine Fülle von Problemfeldern.


Da gibt es einmal den Teenager, der sich in der neuen Welt, deren Sprache er nur schlecht spricht, fremd fühlt und sich nach ihrer Mutter und der ukrainischen Freundin Sascha (Sabrina Rubtsova) sehnt. Dazu kommen aber auch Rivalitäten in der Turngruppe, denn neidisch blicken die anderen Mädchen auf die souveräne Olga, die wohl eine von ihnen aus dem Team verdrängen wird.


Weitere Themen kommen ins Spiel, wenn nicht nur die Demonstrationen auf dem Kiewer Maidan-Platz lauter, sondern auch das Vorgehen der Polizei brutaler wird. Wenn Grappe hier den perfekten Kinobildern vom Schweizer Ambiente raue und grobkörnige Videobilder von den Protesten in Kiew gegenüberstellt, zurrt er auch den Gegensatz von friedlich-beschaulicher Schweiz und explosiver Ukraine, in der die Freiheit erst erkämpft werden muss, zusammen.


Gleichzeitig steigert sich mit dieser politischen Eskalation auch die Zerrissenheit Olgas, die für sich einen Platz finden muss: Soll sie die Schweizer Staatsbürgerschaft annehmen und ihre sportliche Karriere in den Vordergrund stellen oder muss sie zurück in ihre Heimat und wie ihre Freundin Sascha auf dem Maidan-Platz für einen Umsturz kämpfen.


Nicht aufgesetzt, sondern ganz selbstverständlich in die Handlung verpackt, wirft "Olga" so die Frage auf, ob individuelle Träume oder der große gesellschaftliche Kampf wichtiger sind. Und schließlich geht es auch um die Frage nach dem Verhältnis von Sport und Politik: Kann letzteres wirklich ausgesperrt werden und eine ukrainische Turnerin, die bei der Europameisterschaft statt ihren Sprung zu absolvieren lautstark auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam machen will, einfach mundtot gemacht werden?


Trotz dieser Fülle an Themen wirkt dieses nur 85-minütige Langfilmdebüt aber weder überladen noch kommt das Gefühl auf, dass ein Aspekt nur oberflächlich angerissen wird. Bestechend sicher und prägnant entwickelt Grappe die Handlung und findet auch in einem sieben Jahre später spielenden Epilog für seine Olga eine Lösung, die überzeugt. Bedrückung lösen dabei allerdings angesichts der derzeitigen Situation in und um diesen osteuropäischen Staat die Bilder von einem nun sonnigen und friedlichen Maidan-Platz, auf dem die Menschen flanieren, aus. Olga Schweiz / Frankreich Ukraine 2021 Regie: Elie Grappe mit: Anastasia Budiashkina, Sabrina Rubtsova, Caterina Barloggio, Thea Brogli, Tanya Mikhina Länge: 85 min.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Olga"



bottom of page