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Lola

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Der Ire Andrew Legge erzählt in seinem Mockumentary vielschichtig und schillernd von zwei fiktiven britischen Schwestern, die Ende der 1930er Jahre eine Maschine erfinden, mit der die Zukunft vorausgesehen und damit verändert werden kann.


Im Stil von "Blair Witch Project" stellt Andrew Legge seinem Langfilmdebüt ein Insert voran, das informiert, dass 2021 in einem verlassenen Haus in Sussex alte Filmrollen gefunden wurden. Auf 1941 wird das Material datiert, das den folgenden Film bildet, aber selbstverständlich großteils von Legge selbst inszeniert ist, andererseits auch immer wieder mit Archivmaterial durchsetzt ist.


Wie brillant sich dabei das neue Material nicht nur durch 4:3-Format und Schwarzweiß, sondern auch durch Filmfehler wie Kratzer und starke Körnung in die Found Footage einfügt, zeugt schon von der sorgfältigen Machart von "Lola". Um diesen alten Look zu erzeugen, wurden diese Szenen auch mit Kameras und Material der 1940er Jahre gedreht.


Weil das im Home-Movie-Stil und auf 16mm gedrehte Material als Aufnahmen von Martha "Mars" Hanbury (Stefanie Martini) präsentiert wird, spricht und blickt diese auch immer wieder in die Kamera. Die bewegliche Kamera und ungewöhnliche Perspektiven verleihen dem Film einen quasidokumentarischen Charakter, auch Unterbrechungen oder Schwarzblenden erwecken den Eindruck von unverfälschtem, nicht weiter bearbeitetem Material. Erfundene Fernsehbeiträge aus dieser Zeit wurden dagegen auf scharfem 35-mm-Film gedreht.


Im Voice-over erzählt Martha bald über ihre Eltern, aber vor allem über ihre Schwester Thom (Emma Appleton), mit der sie schon als Kind die Leidenschaft für physikalische Experimente verband und mit der sie in den späten 1930er Jahren eine Maschine entwickelte, die Radio- und Fernsehschnipsel aus der Zukunft empfangen kann. Schon um 1940 flirrt so David Bowies "Major Tom" ebenso im Haus der Schwestern über den Bildschirm wie John F. Kennedy.


Mit dem Angriff Nazi-Deutschlands kommt aber auch die militärische Bedeutung dieser Erfindung ins Spiel, können die Schwestern damit doch deutsche Angriffe antizipieren. Privat verschicken sie so zuerst anonym Warnungen an betroffene Personen, werden aber bald vom Militär ausfindig gemacht und systematisch eingesetzt.


Während die Schwestern im Hintergrund agieren, heimst ein Offizier die Ehren für die Erfolge ein, die sich bald einstellen. Doch auch Bruchstellen und Reibungen werden sichtbar, wenn bald aus taktischen Gründen ein Passagierschiff als Köder geopfert wird. Aber auch der Feind kann freilich die Schwestern und damit den britischen Geheimdienst mit gezielten Fehlmeldungen in die Irre führen.


Vielschichtig reflektiert Legge in diesem mit viel Einfallsreichtum und Feingefühl gedrehten Film nicht nur die Frage, wie Eingriffe in die Gegenwart die ganze spätere Zukunft beeinflussen können, sondern fragt auch nach der Ethik solcher Eingriffe. Gleichzeitig stellt er aber auch der kühlen und androgynen Thom, die rein für die Wissenschaft lebt und für die dabei Menschenleben keine Rolle spielen, die leidenschaftliche und verträumte Martha gegenüber, für die David Bowie, Bob Dylan und Stanley Kubrick zu ihren großen Idolen werden.


Idealismus trifft so auch auf Rationalismus und der befreienden und aufklärerischen Kraft der Musik, die Dylan und Bowie vermitteln, wird auch dessen Instrumentalisierung durch die Politik gegenübergestellt. Denn einerseits wird der 1960er Jahre-Hit der Kinks "You Really Got Me", den Martha mit ihrer Schwester in einer Bar singt, zur medial vielfältig benutzten Chiffre für den Sieg Englands über Nazi-Deutschland, andererseits macht in einer alternativen Zukunftsentwicklung ein fiktiver Sänger namens Reginald Watson Karriere mit einem faschistischen Song, in dem Einheit und Gleichschritt sowie die Verfolgung Andersdenkender propagiert wird.


So schließt Legge in seinem ziemlich einzigartigen Mockumentary auch Politik und Popkultur kurz und zeigt, wie sie sich gegenseitig beeinflussen, schafft aber mit seinen beiden Protagonistinnen auch zwei starke, ganz heutige Frauenfiguren.


Und wenn am Ende behauptet wird, dass nur ein Foto der beiden Schwestern erhalten sei, so wird mit dem Zoom auf das Foto unübersehbar das Ende von Kubricks "The Shining" zitiert – damit wird aber auch wieder irritierend und nachwirkend die Frage nach Realität, Illusion und Manipulation aufgeworfen.

 


Lola Irland / Großbritannien 2022 Regie: Andrew Legge mit: Stefanie Martini, Emma Appleton, Rory Fleck Byrne, Hugh O’Conor Länge: 79 min.



Läuft derzeit in den österreichischen und deutschen Kinos. Gasthof Jöslar, Andelsbuch: So 7.1., 20 Uhr


Trailer zu "Lola"



 

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