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Flow

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi
"Flow": Dialogloser, aber visuell überwältigender Animationsfilm
"Flow": Dialogloser, aber visuell überwältigender Animationsfilm

Eine kleine Katze muss auf der Flucht vor einer Flut Ängste überwinden und schließt neue Freundschaften: Dem Letten Gints Zilbalodis gelang mit seinem für zwei Oscars nominierten Animationsfilm ein visuell überwältigendes und spannendes Meisterwerk, das ohne Worte und Menschen auskommt, aber anhand von Tieren dennoch von Existenziellem erzählt.


Mit wie viel Feingefühl und Liebe der Lette Gints Zilbalodis seinen nach dem gefeierten "Away – Vom Finden des Glücks" (2019) zweiten langen Animationsfilm gestaltet hat, macht schon die erste Szene spürbar. Sofort schließt man die kleine schwarze Katze ins Herz, wenn sie erwacht und langsam erst das eine, dann das andere Ohr aufrichtet.


Allein lebt sie im Wald. Verfolgt sie zunächst einen Hasen, so wird sie bald selbst von einem Rudel Hunden gejagt. Nur knapp entkommt sie und sieht sich schon wieder mit in Panik flüchtenden Hirschen und Rehen konfrontiert. Der Grund dafür lässt mit einer mächtigen Flutwelle nicht lange auf sich warten.


Enorme immersive Kraft entwickelt "Flow" bei der Flucht vor den Hunden und der hereinbrechenden Flut mit Point-of-View-Aufnahmen. Unmittelbar hineinversetzt ins Geschehen fühlt man sich, sieht sich selbst als Verfolgte oder Verfolger und von der Flut mitgerissen.


Begeisternd ist auch die teils fotorealistische Genauigkeit, mit der die Natur gestaltet ist. Bäume und Wiesen erstrahlen in kräftigen Grüntönen, ehe alles vom Wasser bedeckt wird. Keine Informationen zu den Ursachen dieser Katastrophe bietet Zilbalodis, doch unübersehbar ist, dass das Wasser immer weiter ansteigt.


Spuren menschlicher Zivilisation finden sich mit einem Haus im Wald, in dem offensichtlich ein Künstler oder eine Künstlerin lebte, die Holzstatuen von Katzen schnitzte. Diese teils monumentalen Skulpturen stehen auf den Wiesen, bis auch sie vom Wasser bedeckt werden.


Die Katze findet zunächst wieder trockenen Boden unter den Füßen, doch das Wasser steigt sukzessive und überflutet schließlich alles. Zuflucht bietet nur noch ein Segelboot, auf das sich auch schon ein gutmütiges Wasserschwein gerettet hat. Kritisch stehen sich die Tiere zunächst gegenüber, Kommunikation erfolgt nur mittels der jeweils eigenen Tierlaute.


Bald kommt auch ein Lemur dazu, der Überreste der menschlichen Zivilisation wie Flaschen und einen Spiegel sammelt, sowie ein Labrador, der durch das Wasser von den anderen Hunden getrennt wurde, und schließlich auch noch ein von seinem Schwarm ausgestoßener Sekretärvogel.


Nichts gemein haben diese Tiere, doch sie müssen zusammenspannen, um in dieser Notlage zu überleben. Nur der Sekretärvogel kann nämlich das Boot steuern, das zunächst durch den weitgehend vom Wasser bedeckten Wald und schließlich durch eine versunkene Palastlandschaft treibt. Die Katze dagegen versorgt als geschickte Jägerin die kleine Truppe mit Fischen.


So magisch Orange der Sonnenuntergang auf dem Boot bei ruhigem Seegang leuchten mag, so bedrohlich sind die mächtigen Wellen, wenn mit tiefgrauem Himmel ein gewaltiger Sturm aufzieht. Großartig baut Zilbalodis, der mit "Flow" seinen 2012 entstandenen siebenminütigen Animationsfilm "Aqua" weiterentwickelt, immer wieder Spannung auf, wechselt souverän zwischen dramatischen und ruhigen Momenten.


In der Dialoglosigkeit und dem Reichtum an Details wie der halbversunkenen Palastanlage oder versunkenen Skulpturen bleibt "Flow" offen für vielfältige Interpretationen. Im Kern wird aber anhand der tierischen Fabel von grundsätzlichen menschlichen Fragen und Verhaltensweisen erzählt.


Ohne diese Tiere im Disney-Stil zu vermenschlichen, gelingt es Zilbalodis sie mit Emotionen aufzuladen. Vor allem die im Zentrum stehende Katze berührt. Sie muss nicht nur lernen ihre Ängste vor dem Wasser und den anderen Tieren zu überwinden, sondern entwickelt sich auch vom Einzelgänger, der immer für sich nach Höherem strebt, zum Teamplayer.


Eine Absage an die materielle Gier des Menschen kann man dagegen in der Sammelwut des Lemur sehen. Der Labrador wiederum lernt seine Feindschaft gegenüber der Katze abzulegen und wird im Gegensatz zu seinen Artgenossen nicht seinem egoistischen Jagdtrieb folgen, sondern Verantwortung für seine artfremden Wegbegleiter entwickeln.


Herrschaftsansprüche und Ausgrenzung kommen schließlich mit dem stolzen Sekretärvogel ins Spiel, der im Kampf gegen einen Artgenossen unterliegt und auf dem Boot zumindest vorübergehend eine neue Heimat findet.


Von der biblischen Arche Noah scheint "Flow" ebenso beeinflusst wie von Homers "Odyssee", doch im Gegensatz zum heimischen Ithaka des griechischen Helden, gibt es für Zilbalodis Tiere keine Heimat mehr, sondern nur das Verlangen zu überleben und vielleicht noch irgendwo bewohnbares Land zu finden.


Rein aus der Erzählung heraus und ohne jeden pädagogischen Fingerzeig vermittelt Zilbalodis eindrücklich, wie in dieser veränderten Situation Anpassungsfähigkeit an die neuen Verhältnisse ebenso wie an die anderen Tiere notwendig ist. Eine spirituelle Szene, die nicht nur auf die Spitze eines mächtigen, aus dem Wasser ragenden Turms, sondern geradezu ins Universum zu führen scheint, fehlt dabei so wenig wie ein dramatisches Finale, in dem die Bedeutung des Zusammenhalts eindrücklich vor Augen geführt wird.


Nicht das kleinste Wunder dieses Filmkunstwerks abseits von Pixar und Disney sollte schließlich aber sein, dass es mit seiner berauschenden Bildkraft und seiner Tiergeschichte einerseits ein magisches Kinoerlebnis für Kinder bietet, andererseits mit seinem inhaltlichen Reichtum auch Erwachsene begeistern kann.

 

 

Flow Lettland / Belgien / Frankreich 2024 Regie: Gints Zilbalodis Animationsfilm Länge: 84 min.



Läuft derzeit in den österreichischen Kinos und ab 6.3. in den deutschen Kinos.


Trailer zu "Flow"


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