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  • AutorenbildWalter Gasperi

61. Viennale: Victor Erices großes Comeback

Aktualisiert: 29. Okt. 2023


Zwei Spielfilme und einen Dokumentarfilm drehte der Spanier Victor Erice zwischen 1973 und 1992, dann hörte man 30 Jahre nichts mehr von ihm, doch nun meldet er sich mit 83 Jahren mit dem fast dreistündigen "Cerrar los ojos" zurück. Immerhin zehn Jahre sind seit dem letzten Kinofilm des Argentiniers Martin Rejtman vergangen und ungleich kleiner als Erices Film ist "La practica", doch dem Vergnügen an dieser smarten lakonischen Komödie tut dies keinen Abbruch.


Parallelen zwischen der Biographie von Victor Erice und der Handlung von "Cerrar los ojos" sind nicht zu übersehen, wenn im Zentrum ein Filmregisseur steht, der nach seinem Debüt vor 20 Jahren nur noch einen unvollendeten Film gedreht hat. Nach wenigen Szenen verschwand damals nämlich der Hauptdarsteller spurlos.


Auch von Victor Erice hat man seit 30 Jahren nahezu nichts mehr gehört. 1973 gelang dem 1940 geborenen Spanier mit seinem Debüt "Der Geist des Bienenkorbs" ein viel beachtetes Meisterwerk, zehn Jahre später folgte "El sur – Der Süden" (1983) und nochmals neun Jahre darauf der Dokumentarfilm "Das Licht des Quittenbaums" (1992). Doch dann wurde es still um Erice und es entstanden nur noch zwei Kurzfilme. Umso erfreulicher ist nun sein großartiges Comeback.


Mit einer der beiden gedrehten Szenen des unvollendeten Films setzt "Cerrar los ojos" ein und am Ende wird die zweite Szene in einem Kino präsentiert werden. So wird dieser 169-minütige Film auch zu einer Hommage an die Magie und die Macht des Kinos, kündet mit dem geschlossenen Kino aber auch von dessen Krise oder Niedergang.


Im Zentrum steht dabei in der Nachfolge klassischer Detektivfilme oder auch von Orson Welles´ "Citizen Kane" oder Andrzej Wajdas "Der Mann aus Marmor" die Suche nach dem verschwundenen Hauptdarsteller. Ausgelöst wird diese durch ein Interview mit dem Regisseur für eine TV-Sendung über ungeklärte Vermisstenfälle.


Das Interview löst nämlich auch beim Regisseur Erinnerungen aus und er beginnt zu recherchieren, sucht einen ehemaligen Freund ebenso wie die Tochter des Verschwundenen und die einstige Geliebte beider Männer auf. Gleichzeitig spiegeln sich aber auch Filmhandlung und Film im Film, denn auch im unvollendeten Film ging es um eine Suche - wenn auch nicht nach einem verschwundenen Mann, sondern nach einer verschwundenen jungen Frau.


Erice erzählt in seinem vorwiegend in dunkle Farben getauchten Film in langsamem Rhythmus und lässt sich für jede Szene Zeit. Im besten Sinn langatmig ist "Cerrar los ojos", aber nie langweilig und reflektiert bewegend nicht nur über Erinnerung, Freundschaft und Identität, sondern auch über Vergänglichkeit und Altern, wenn der Weg den Regisseur schließlich in ein Seniorenheim führt.


Im Vergleich zu diesem episch breiten Film ist Martin Rejtmans "La practica" klein gehalten. Großes Vergnügen bereitet dennoch, wie der Argentinier mit Gespür für Situationskomik und skurrile Figuren vom Streben der Menschen nach Wohlbefinden und Ausgeglichenheit erzählt. Im Mittelpunkt steht der in Santiago de Chile lebende argentinische Yogalehrer Gustavo, der sich vor kurzem von seiner ebenfalls als Yogalehrerin arbeitenden Frau getrennt hat.


Beide machen nun unterschiedliche neue Begegnungen, mit denen sie auch mehrfach einen Trip zu einem Erholungs-Resort in die chilenischen Berge unternehmen, doch so wirklich das Glück scheinen sie nicht zu finden. Zur Unausgeglichenheit kommt beim Mann vielmehr noch ein Knieleiden, während einer seiner Yoga-Schützlinge Rückenprobleme entwickelt, sich aber bald bei einer Apothekerin einquartiert.


Dazu kommen unter anderem auch noch eine deutsche Touristin, die bei einem leichten Erdbeben das Gedächtnis verliert, ein Anästhesist sowie Gustavos aus Buenos Aires anreisende überfürsorgliche Mutter, die ihren Sohn zur Rückkehr nach Argentinien bewegen und ihm mit Antidepressiva weiterhelfen will.


In lakonisch-trockener Erzählweise lässt Rejtman wie bei einem Reigen die Protagonist:innen sich immer wieder treffen und entwickelt dabei herrlich absurde Situationen, die diese smarte Komödie zu einem ausgesprochen feinsinnigen und witzigen Vergnügen machen.



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