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  • AutorenbildWalter Gasperi

58. Viennale: Unermüdlich kreativ und provokant: Christoph Schlingensief


Den 60. Geburtstag - am 24. 10. - und den 10. Todestag des deutschen Enfant terribles Christoph Schlingensief nimmt die Viennale zum Anlass für eine Retrospektive. Aber auch Bettina Böhlers neuer Dokumentarfilm "Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien", der vielschichtige Einblicke in Person und Werk bietet, wurde vorgestellt.


Jenseits aller biederen Film- und Fernsehästhetik hat sich Christoph Schlingensief zunächst in seinen Filmen, dann auch in Theaterprojekten und öffentlichen Aktionen provokativ mit gesellschaftlichen Realitäten und immer wieder mit Deutschland auseinandergesetzt. In seiner ebenso trashigen wie bluttriefenden "Deutschland-Trilogie" (1989 – 1992) "100 Jahre Adolf Hitler – Die letzte Stunde im Führerbunker", "Das deutsche Kettensägenmassaker" und "Terror 2000 – Intensivstation Deutschland" setzte er sich auf seine Art und Weise mit dem Verhältnis der Deutschen zum Nationalsozialismus, der deutschen Wiedervereinigung und dem Gladbecker Geiseldrama, in dessen Verlauf 1988 drei Menschen starben, auseinander.


Neben die filmische Arbeit traten ab den 1990er Jahren Theaterinszenierungen an der Berliner Volksbühne und am Wiener Burgtheater, 2007 inszenierte er in Bayreuth den "Parsifal", aber auch konkrete politische Aktionen gewannen an Gewicht. So forderte er 1998 die sechs Millionen Arbeitslosen Deutschlands auf an den Wolfgangssee zu kommen und mit ihm vor dem Ferienhaus von Kanzler Helmuth Kohl in den See zu springen oder er reagierte mit der Aktion "Ausländer raus!", bei der er 2000 einen Container neben der Wiener Oper aufstellte, gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ reagierte. – Wie der Untertitel des Films schon sagt, schrie er eben immer wieder ins deutsche Schweigen hinein und forderte auf sich mit deutscher Geschichte und Gegenwart auseinanderzusetzen.


Bettina Böhler, die sich vor allem als Cutterin der Filme von Christian Petzold einen Namen gemacht hat, zeichnet in ihrem ersten langen Dokumentarfilm "Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien" allein mit Statements Schlingensiefs sowie Ausschnitten aus seinem umfangreichen Schaffen ein Porträt des 2010 an Krebs gestorbenen Künstlers. Eine wahre Herkulesarbeit muss es gewesen sein, die Fülle an Material zu sichten und durch die Montage zu einem ebenso dichten wie schlüssigen und unterhaltsamen zweistündigen Dokumentarfilm zu verdichten.


Auf Zeitinserts verzichtet Böhler, spannt aber mit dem Archivmaterial den Bogen von den ersten Amateurfilmen als Achtjähriger bis zu seinen Plänen für den Pavillon bei der Biennale in Venedig im Jahr 2011. Bewusst macht Böhler in der Fülle von Schlingensiefs Werk, aber auch durch seine Selbstaussagen seine unbändige Kreativität und seinen Arbeitswillen.

Sichtbar wird aber bei diesem Streifzug durch das künstlerische Leben aber auch wie die politische und gesellschaftskritische Positionierung im Lauf der Jahre zunehmend an Gewicht gewann. Über das Porträt hinaus weitet sich "Schlingensief – In das Schweigen hineinschreien" damit auch zur allgemeinen Frage nach der Rolle des Künstlers in der Gesellschaft und zu einer Aufforderung diese das aktuelle Geschehen kommentierende und intervenierende Position zu verstärken.


Fast erschlagen kann einem dieser Dokumentarfilm freilich mit seinem immensen Tempo und vieles kann nur angerissen werden. Doch damit regt "Schlingensief" auch wieder an, sich mit diesem kontroversen und herausfordernden, aber auch herausragenden Künstler genauer zu beschäftigen, weckt vor allem aber Lust seine Filme neu oder wieder zu entdecken.

Trailer zu "Schlingensief - In das Schweigen hineinschreien"



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