22 Bahnen
- Walter Gasperi
- vor 22 Minuten
- 3 Min. Lesezeit

Eine Mathematikstudentin mit alkoholkranker Mutter zwischen Fürsorge für ihre kleine Halbschwester und eigenen Lebensträumen: Mia Maariel Meyers konventionelle Verfilmung von Caroline Wahls Bestseller wird von den drei Hauptdarstellerinnen Luna Wedler, Laura Tonke und Zoë Baier getragen.
Mit "22 Bahnen" gelang der heute 30-jährigen Caroline Wahl 2023 auf Anhieb ein Bestseller. Rund 700.00 Mal wurde ihr Debütroman verkauft. Fast zwangsläufig musste eine Verfilmung folgen. Mit Voice-over versetzt die Mathematikstudentin Tilda (Luna Wedler) von Anfang an in ihre Perspektive und verstärkt diese in der Folge immer wieder mit ihren Gedanken.
Schon in der achten Klasse habe sie gewusst, dass sie Mathematik studieren wolle, denn Mathematik schaffe Ordnung, die sie in ihrem ungeordneten Leben dringend brauche. Für Unordnung sorgt ihre alkoholkranke Mutter (Laura Tonke), die entweder betrunken auf der Couch liegt, im Suff beinahe die Wohnung in Brand steckt oder aber Tildas zehnjährige Halbschwester Ida (Zoë Baier) mit einem Wutanfall ängstigt.
Nicht die Mutter kümmert sich folglich um ihre Töchter, sondern Tochter Tilda muss sich nicht nur um die kleine Ida kümmern, sondern auch um ihre Mutter kümmern. Diese erklärt zwar schon zum siebzehnten Mal, dass sie nun nüchtern bleiben wolle, doch ihre Töchter glauben ihr längst nicht mehr und bald folgt auch der nächste Rückfall.
Dennoch zeigt sich die Mutter bei einem Krankenhausaufenthalt in höchstem Maße uneinsichtig, weist die Bezeichnung als Alkoholikerin entschieden von sich und lehnt folglich auch eine Einlieferung in eine Entzugsanstalt ab, da sie überzeugt ist ihr Leben selbst in Ordnung bringen zu können. – Der Blick der Töchter signalisiert, dass sie anderer Meinung sind, auf Widerspruch verzichten sie aber.
Doch Realität ist, dass Tilda Ida zur Schule bringen muss, dann mit dem Zug zur rund eine Stunde entfernten Uni fährt, danach an der Kasse des Supermarkts jobbt, um das Studium finanzieren zu können und schließlich noch ihre 22 Bahnen im Schwimmbad dreht. – Ziemlich abgegriffen ist freilich das Eintauchen ins Wasser als Bild für die Befreiung von einem belastenden Alltag.
Ein bedrückendes Sozialdrama könnte das sein, doch Mia Maariel Meyer will Wohlgefühl verbreiten. An sich beklemmende Momente werden so immer wieder mit sanften Popsongs aufgeheitert und überhaupt steht nicht die triste Situation der Familie, die ausgerechnet in der Fröhlichstraße wohnt und nach Tildas Rechnung ja zu 66,67% intakt ist, im Zentrum, sondern vielmehr die innige Beziehung zwischen den beiden Halbschwestern.
Berührend ist "22 Bahnen" in der Schilderung dieser Beziehung, weil Luna Wedler die Zerrissenheit Tildas zwischen Sorge um ihre Halbschwester und eigenem Traum von einem befreiten Leben ebenso intensiv spüren lässt wie Zoë Baier die Zerbrechlichkeit und Schutzbedürftigkeit Idas. Aber auch die Mutter wird weder vom Film noch von den Halbschwestern verurteilt, vielmehr blicken sie meist mit tiefem Mitgefühl auf diese in ihrem Suff gefangene Frau, deren Ambivalenz zwischen liebevoller Mutter und Suchtkranker Laura Tonke offen und uneitel vermittelt.
Bewegung kommt in Tildas Leben, als ihr Professor sie animiert, sich für eine Promotionsstelle in Berlin zu bewerben. Zwischen Verantwortungsgefühl und dem Wunsch ihr eigenes Leben ist sie zerrissen, beginnt daran zu arbeiten, Ida für das selbstständige Leben mit der Mutter zu rüsten, will aber auch Mutter und Halbschwester bei der anstehenden Entscheidung nicht übergehen.
Genug wäre die Fokussierung auf die Familie und Tildas Zerrissenheit gewesen, doch Meyer überfrachtet den Film mit einem weiteren Problemfeld. Was in einem 200-seitigen Roman noch funktionieren mag, ist in einem 100-minütigen Spielfilm zu viel des Guten, wenn mit der Begegnung mit dem russischstämmigen Programmierer Viktor (Jannis Niewöhner) einerseits traumatische Erinnerungen, die in bruchstückhaften Rückblenden langsam Profil gewinnen, andererseits eine zarte Liebesgeschichte dazukommen
Wenig überzeugend versucht Meyer mit einer Montagesequenz zu vermitteln, welche Belastung diese unterschiedlichen Probleme und Erinnerungen in Tildas Kopf auslösen, und auch der Blick auf die Alkoholsucht der Mutter und deren Folgen für die Kinder lässt es an Schonungslosigkeit vermissen.
Zu sehr zielt diese solide, aber auch sehr konventionelle Bestsellerverfilmung darauf ab, ja nicht zu verstören und möglichst Wohlgefühl zu erzeugen. Wenig verwunderlich ist so auch ein auf mehreren Ebenen versöhnliches und befreiendes Ende, denn die Zuschauer:innen sollen ja nicht deprimiert aus dem Kino entlassen werden.
Dem Publikumserfolg dürfte das mehr nützen als schaden und auch den Verkauf von Caroline Wahls drittem Roman "Die Assistentin", der praktischerweise fast gleichzeitig mit dem Filmstart erschienen ist und in dem die Autorin ihre Erfahrungen als Verlagsassistentin verarbeitet, dürfte der Film ankurbeln.
22 Bahnen Deutschland 2025
Regie: Mia Maariel Meyer
mit: Luna Wedler, Laura Tonke, Jannis Niewöhner, Zoë Baier, Zoe Fürmann
Länge: 102 min.
Läuft jetzt in den Kinos.
Trailer zu "22 Bahnen"
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