top of page
AutorenbildWalter Gasperi

Wer die Nachtigall stört - To Kill a Mockingbird


Ein weißer Anwalt übernimmt im Alabama der 1930er Jahre die Verteidigung eines Afroamerikaners. – Robert Mulligans klassische Verfilmung von Harper Lees gleichnamigem Roman mit Gregory Peck in der ikonischen Rolle des Atticus Finch ist bei Universal Pictures in bestechender Bildqualität und mit vielfältigem Bonusmaterial auf DVD und Blu-ray erschienen.


Nur zwei Jahre nach Erscheinen von Harper Lees Roman "Wer die Nachtigall stört", der 1961 mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet wurde, folgte die Verfilmung unter der Regie von Robert Mulligan und mit Alan J. Pakula als Produzent. Mit dem Voice-over der sechsjährigen Scout (Mary Badham) wird von Anfang an die Kinderperspektive vorgegeben.


Das Mädchen führt in die in Alabama gelegene Kleinstadt Maycomb und die aufgrund der Weltwirtschaftskrise schwierige wirtschaftliche Lage im Jahr 1932 ein. Viel Zeit lässt sich Mulligan für die Exposition. Mit dem langsamen Erzählrhythmus und den bestechenden Schwarzweißbildern von Kameramann Russell Harlan evoziert er intensiv die lethargische Stimmung eines heißen Sommers, in dem Scout mit ihrem vier Jahre älteren Bruder Jem (Philipp Alford) und einem weiteren Jungen, der die Ferien bei seiner Tante verbringt, durch die Nachbarschaft streift und mit Spielen den Tag verbringt.


Aus dieser Kinderperspektive blickt man auch auf ihren seit dem Tod seiner Frau alleinerziehenden Vater Atticus Finch (Gregory Peck), der Anwalt ist, und bei Gesprächen am Abend seinen beiden Kindern immer wieder anschaulich und kindgemäß Lektionen in Humanismus und Zivilcourage erteilt. Wie er seinen Kindern gegenüber immer verständnisvoll ist, ihnen zuhört und auf sie eingeht, so scheint er sich auch im Beruf immer für die Menschen einzusetzen.


Als der Richter ihn darum bittet, übernimmt er so auch die Verteidigung des Afroamerikaners Tom Robinson (Brock Peters). Robinson wird beschuldigt eine junge weiße Frau (Collin Wilcox) misshandelt und vergewaltigt zu haben. Aus Kinderperspektive erlebt man die Anfeindungen, die Atticus vom Vater der Anklägerin erfährt, oder wie er den Inhaftierten gegen einen Lynchmob verteidigt.


Über eine Stunde lässt sich Mulligan bis zum Prozess Zeit, in dem neben dem Angeklagten und der Klägerin nur zwei weitere Zeugen aufgerufen werden. Schlüssig deckt Finch die Haltlosigkeit der Anklage auf, doch die Entscheidung über Schuld und Unschuld fällen die ausschließlich weißen Geschworenen.


Wie der Roman von Harper Lee gehört auch der Film längst zu den zeitlosen Klassikern der US-amerikanischen Kultur. 2007 wurde "Wer die Nachtigall stört" vom American Film Institute auf Platz 25 der besten amerikanischen Filme aller Zeiten gelistet und Atticus Finch, für dessen Verkörperung Gregory Peck 1963 mit dem Oscar ausgezeichnet wurde, wurde noch vor "Indiana Jones", "James Bond" und "Casablanca" Rick Blaine zum größten Helden des amerikanischen Films gekürt.


Als Vorbild für alle Amerikaner bezeichnete auch Präsident Barack Obama diesen fiktiven Anwalt und forderte auf, sich dessen Maxime „Man kann einen anderen Menschen nur wirklich verstehen, wenn man die Dinge von seinem Gesichtspunkt aus betrachtet – wenn man in seine Haut schlüpft und darin herumläuft“ zu Herzen zu nehmen.


Als Musterbeispiel des guten Amerikaners wird dieser Atticus Finch, dessen ungewöhnlicher Vorname wohl auch Assoziationen zur attischen Demokratie der Antike wecken soll, gezeichnet. Er erscheint als Musterbeispiel für Toleranz und gegen Rassismus, aber auch für Zivilcourage und für den Einsatz für Gerechtigkeit, auch wenn daraus Anfeindungen resultieren.


Aus heutiger Sicht kann man den Film mit seiner Fokussierung auf Finch und seinen Kindern freilich kritisieren, denn Finch erscheint als "White Savior", der sich für den machtlosen Afroamerikaner einsetzt, während der Angeklagte selbst und dessen Familie im Film kaum Profil gewinnen. Doch anachronistisch ist dieser Vorwurf, denn in einer Zeit, als sich die Bürgerrechtsbewegung in den 1960er Jahren auf ihren Höhepunkt zubewegte, war dieser Film mutig und in seinem Plädoyer gegen Rassismus und für Toleranz und Humanismus ein wichtiges Statement.


Dass "Wer die Nachtigall stört" mit seiner Botschaft aber auch 60 Jahre nach der Uraufführung noch bewegen und zum Nachdenken anregen kann, liegt auch und ganz wesentlich an der perfekten Inszenierung. Großartig besetzt ist nicht nur die Hauptrolle, sondern prägnant gezeichnet sind auch die Nebenfiguren vom rassistischen Vater der Klägerin bis zum verstörten Außenseiter "Boo" Radley (Robert Duvall), der nur einen kurzen, aber einprägsamen Auftritt hat, vor allem aber die Kinderrollen.


Einfühlsam und rund erzählt Mulligan aus ihrer Perspektive, lässt in ihre Welt eintauchen und mit ihnen sommerliche Abenteuer erleben, verliert aber dennoch nie die zentralen Themen aus dem Blick. Gleichzeitig korrespondiert der Film in dieser sanften und feinfühligen Inszenierung auch perfekt mit der Haltung von Atticus Finch. So transportiert "Wer die Nachtigall stört" seine humanistische Botschaft auch über seine Form.


An Sprachversionen bieten die bei Universal Pictures erschienene DVD und Blu-ray, die durch bestechende Bildqualität begeistern, die englische Original- und die deutsche Synchronfassung sowie mehrere weitere Sprachfassungen und auch Untertitel nicht nur in Deutsch und Englisch, sondern auch in weiteren Sprachen. Umfangreich sind die Extras, die alle deutsch untertitelt sind.


Neben dem 90-minütigen Dokumentarfilm "Beklemmende Symmetrie", in dem mit Interviews unter anderem mit Robert Mulligan und Produzent Alan J. Pakula sowie mehreren Darsteller:innen detailreich die Entstehung des Films, aber auch der zeitgeschichtliche Hintergrund nachgezeichnet wird, gibt es so das 25-minütige Feature "Alle Blickwinkel", in dem die zeitlose Aktualität und Gültigkeit des Films herausgearbeitet wird.


Dazu kommt mit "Ein Gespräch mit Gregory Peck" ein 90-minütiger Dokumentarfilm über den Hollywood-Star, seine Oscar-Rede und ein Featurette zur Verleihung des Preises für sein Lebenswerk sowie der originale Kinotrailer. Aber auch ein Audiokommentar von Robert Mulligan und Alan J. Pakula, in dem das Duo vielfältige und detailreiche Einblicke in die Produktion des Films bietet, fehlt nicht. Bei der teureren 60th Anniversary Limited Edition, die sowohl die DVD als auch die Blu-ray enthält, ist zudem noch ein 44-seitiges Booklet dabei.


Trailer zu "Wer die Nachtigall stört - To Kill a Mockingbird"


Comments


bottom of page