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  • AutorenbildWalter Gasperi

Von Lokführern, Gleisarbeitern und Bahnhofsvorstehern: Die Eisenbahn im Film


La bataille du rail (René Clément, 1946)

Seit Anfang der Filmgeschichte besteht eine enge Verbindung zwischen Eisenbahn und Kino, denn die Dynamik der Züge eignete sich bestens für das von Bewegung lebende Medium Film. Das St. Galler Kinok zeigt anlässlich des 100. Geburtstags der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV eine Reihe mit Zugfilmen, in deren Zentrum nicht Reisende, sondern Bahnarbeiter stehen.


Dass das St. Galler Kinok in einer Lokremise eingerichtet wurde, hat selbstverständlich nichts mit der Beziehung von Eisenbahn und Kino zu tun, ist im Fall dieser Filmreihe aber ein nettes Detail. Unbestritten sind aber die engen Beziehungen von Eisenbahn und Kino seit Anfang der Filmgeschichte.


Die Eisenbahn mag es zwar schon rund 70 Jahre länger als das Kino geben, wurde die erste öffentliche Strecke doch 1825 in England zwischen Stockton und Darlington eröffnet, während die ersten Filmvorführungen 1895 stattfanden, doch beides sind Errungenschaften und Merkmale der modernen Welt.


Wie die Eisenbahn das Leben dynamisierte, aber mit Fahrplänen auch reglementierte, so beschleunigte und regelte gewissermaßen der Film das Sehen. Parallele kann man auch darin sehen, dass man sowohl im Zug als auch im Kino in geschlossenen Räumen sitzt, die physische Bewegung eingeschränkt ist und die Landschaft vor dem Zugfenster am Reisenden vorbeizieht wie am Kinobesucher der Film auf der Leinwand.


Den Reiz dieser Bewegung nutzten schon die Brüder Lumière. Die Vorführung ihres Kurzfilms „L´arrivée d´un train“ am 6. Januar 1896 gilt als Beginn der Filmgeschichte. Dass das Publikum dabei erschrocken aufgesprungen sei, ist zwar Erfindung, aber großen Eindruck machten die bewegten Bilder von einer sich nähernden Dampflokomotive sicher.


Aus dem Kino war die Eisenbahn fortan nicht mehr wegzudenken. Mehr als 1800 Filme listet die Internetseite Eisenbahn-im-Film.de zum Thema auf. Zentrale Bedeutung spielt die Eisenbahn natürlich immer wieder im Western, wurde mit diesem Verkehrsmittel das Land doch erobert und verbunden.


Von Edwin S. Porters „The Great Train Robbery“ (1903), der als erster Western der Filmgeschichte gilt, bis zu Jim Jarmuschs „Dead Man“ (1995) spannt sich der Bogen, wobei der optimistische Blick auf „The Iron Horse“ (John Ford, 1924) sich spätestens in Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ (1968) deutlich verdunkelte und massive Kritik an den skrupellosen Eisenbahnkonzernen geübt wurde.


Der geschlossene Raum bei gleichzeitig geringer Möglichkeit sich zu beschäftigen bot Filmemachern immer wieder auch die Möglichkeit von Zufallsbekanntschaften zu erzählen. Man kommt ins Gespräch und eine romantische Beziehung wie in Richard Linklaters „Before Sunrise“ (1995) kann sich ebenso entwickeln wie ein perfider Mordplan in Alfred Hitchcocks Patricia Highsmith-Verfilmung „Strangers on a Train“ (1951).


Aber eben nicht nur von Reisenden, sondern auch von Bahnarbeitern erzählen Filme seit den frühesten Tagen des Kinos. So vermittelt Abel Gance in „La roue“ (1923), in dessen Zentrum ein Lokomotivführer steht, mit furioser Montage die rasende Bewegung der Züge. Buster Keaton lässt dagegen in seinem Meisterwerk „The General“ (1926) seinen stoischen Protagonisten während des Amerikanischen Bürgerkriegs nicht nur um seine Angebetete, sondern auch um seine Lokomotive kämpfen, die von den Truppen der Nordstaaten entführt wird. Bruchlos gehen hier in horrendem Tempo, das wieder zur Geschwindigkeit der Eisenbahn passt, spektakuläre Action und aberwitzige Momente ineinander über, bis sich mit dem Happy-End die Spannung löst.


Düstere Töne schlägt dagegen Jean Renoir in der Zola-Verfilmung „La bête humaine“ (1938) an, in der Jean Gabin einen von psychischen Problemen gequälten, zwischen Begehren und Mordlust schwankenden Lokführer spielt. - Wie die Lok unter Dampf steht, unaufhaltsam auf den Schienen nach vorwärts drängt, so scheint er von seinen Gefühlen getrieben.


Zentrale Bedeutung hatte die Eisenbahn freilich auch fürs Militär, war Grundlage für Truppenverlegungen und Lieferung von Nachschub, aber während des NS-Regimes auch für die Deportation von Millionen Juden in die Vernichtungslager. Eindrücklich macht letzteres Claude Lanzmans neuneinhalbstündiger Dokumentarfilm „Shoah“ (1985) bewusst.


Wie man die Herrschaft der Nazis dagegen sabotieren konnte, zeigt René Clément in dem ursprünglich als Dokumentarfilm angelegten „La bataille du rail“ (1946). Clément erzählt darin von Resistance-Kämpfern, die, unterstützt von Gleisarbeitern, kurz vor der Landung der Alliierten in der Normandie Sabotageakte gegen die Transportzüge der Nazis planen, um den französischen Schienenverkehr lahmzulegen.


Ein Anschlag auf einen deutschen Munitionszug steht auch am Ende von Jiri Menzels „Scharf beobachtete Züge“ (1966), doch der tschechische Oscar-Preisträger schlägt in dieser Geschichte um einen jungen Bahnamtsanwärter, der von seinen Kollegen nicht nur in den Beruf, sondern auch in die Liebe eingeführt wird, deutlich komödiantischere Töne an.


Spielt Menzels Film in einer winzigen und abgelegenen Bahnstation, so versetzt Youssef Chahine in „Cairo Station“ (1958) den Zuschauer in den quirligen Hauptbahnhof der ägyptischen Hauptstadt, in dem auch der ganze Film gedreht wurde. Verpackt in eine realistische Schilderung des sozialen Milieus erzählt Chahine dabei in starken Schwarzweißbildern von der unglücklichen Liebe eines Zeitungsverkäufers zu einer Limonadenverkäuferin.


Dass sich in Zeiten des Neoliberalismus und der Privatisierung der Eisenbahn die Arbeitsbedingungen für Bahnarbeiter dramatisch verschlechtert haben, zeigt schließlich Ken Loach in „The Navigators“ (2001). Das Drehbuch des ehemaligen Eisenbahners Rob Dawber und Laiendarsteller sorgen dabei für große Unmittelbarkeit und Direktheit.


Quittieren die Bahnarbeiter die Rede zur Privatisierung zunächst mit Gelächter und lehnen die Abfindungsangebote ab, so müssen sie bald erkennen, wie sich Schritt für Schritt die Arbeitsbedingungen ändern, die völlig desinformierte Führungsetage unsinnige Arbeitsaufträge erteilt und frühere gewerkschaftliche Vereinbarungen rückgängig gemacht werden.


Mit dokumentarischem Blick zeigt Loach packend, dass nun Rentabilität das oberste Gebot ist und nicht nur Zwangsentlassungen folgen, sondern auch die Sicherheitsbedingungen werden nicht mehr eingehalten und unter dem Druck der Autorität zerbricht die Solidarität der zunächst kämpferischen Arbeiter sukzessive.


Nur in einem Märchen wie Veit Helmers dialoglosem „Vom Lokführer, der die Liebe suchte …“ (2018) gibt es eben noch eine heile Welt. Fern sind hier wirtschaftliche Überlegungen, wenn der Lokführer Nurlan seinen Zug durch die Berglandschaft Aserbaidschans lenkt und sich schließlich auf die Suche nach der Besitzerin eines traumhaften Büstenhalters macht, der sich an seiner Lokomotive verfangen hat.


Im Oktober im Kinok in St. Gallen


Trailer zu "La bataille du rail"


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