Immer wieder das Gleiche findet man im regulären Kinoprogramm oft. Was erfolgreich ist, wird wiederholt oder leicht variiert fortgesetzt, doch Überraschungen sind Mangelware. Filmfestivals wie die Viennale sind dagegen ein Ort, an dem gerade ungewöhnliche, in kein Raster passende Filme ihren Platz finden und präsentiert werden.
"A River Runs, Turns, Erases, Replaces" der aus Wuhan stammenden und in Chicago lebenden Shengze Zhu gehört sicherlich dazu. In langen statischen Einstellungen bietet Zhu Impressionen vom Leben in Wuhan während und nach dem Lockdown. Die Erstarrung der Stadt durch die Pandemie wird durch die unbewegte Kamera ebenso wie durch den Verzicht auf jeden Dialog und Musik vermittelt.
Jedes Leben ist in der ersten Einstellung der nächtlichen Fußgängerzone ausgetrieben, auf die die Überwachungskamera aus leicht erhöhter Position minutenlang blickt. Erst langsam tauchen in den nächsten Einstellungen – und durch das Zeitinsert 4. April 2020 von den ersten auf 12. und 13. März datierten Tableaus deutlich abgehoben – Menschen auf und das Leben scheint zurückzukehren.
Gegensätze prallen aufeinander, wenn man bald einen Wasserbüffel auf einer Wiese sieht, bald Bagger unter einer Stadtautobahn oder Menschen im Vordergrund auf einer Wiese tanzen, während im Hintergrund jenseits des Jangtse die Skyline von Wuhan halb im Dunst oder Smog verschwindet.
Langsam werden den Bildern als Textinserts Ausschnitte aus Briefen an einen Partner, eine Großmutter, einen Vater, eine Tochter unterlegt, von denen sich die Schreiber*innen aufgrund des Lockdowns nicht mehr verabschieden konnten und deren Verlust sie nun betrauern.
So verdichtet sich dieser poetische Dokumentarfilm vom impressionistischen Bild der Gegensätze und des Wandels einer Großstadt zum leisen, aber intensiven Requiem auf die Opfer der Corona-Pandemie.
Gegensätze prallen auch in Clio Barnards Spielfilm "Ali & Ava" aufeinander. Während der bärtige Ali nämlich aus dem indisch-muslimischen Milieu stammt, gehört die etwas ältere Ava zur britisch-proletarischen Unterschicht. An Ken Loach erinnert Barnards Film in der Verankerung ihrer Geschichte in diesen prägnant gezeichneten Milieus, die in dem in Yorkshire gelegenen 300.000 Einwohner*innen zählenden Bradford aufeinander treffen.
Doch nicht nur das Milieu trennt Ali, den seine Frau gerade verlässt, und Ava, deren Mann vor kurzem gestorben ist, sondern auch die familiäre Situation und der Musikgeschmack. Während sie nämlich drei Kinder und fünf Enkel hat, ist Ali kinderlos und während er auf Rock und Punk steht, bevorzugt sie Country und Folk. Mit Parallelmontage akzentuiert Barnard die Gegensätze, lässt aber die beiden Protagonisten sich dennoch langsam näherkommen. Wenn sie sich über die Widerstände ihrer Familien hinwegsetzen und an ihre Beziehung glauben, erzählt Barnard nicht nur von der Kraft der Liebe, sondern plädiert auch unaufdringlich, aber entschieden für den Abbau von Vorurteilen.
Mit seinen beiden sympathischen Hauptdarstellerinnen Adeel Akhtar und Claire Rushbrook, dem warmherzigen Erzählton, dem genauen Blick für die unterschiedlichen Milieus und der sicheren Mischung von Sozialrealismus und romantischen Momenten ist der 56-jährigen Britin hier ein Kleinod gelungen, das das Potential zum Crowdpleaser in den Arthouse-Kinos haben sollte.
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