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Universal Language

Autorenbild: Walter GasperiWalter Gasperi

Der Kanadier Matthew Rankin fügt scheinbar unverbundene absurde und von trockenem Humor durchzogene Szenen zu einem beglückenden Film über Migration, Sehnsucht nach Heimat und menschliche Verbundenheit über Sprachgrenzen hinweg.


Minutenlang bleibt die Totale der braunen Backsteinmauer eines Schulgebäudes stehen. Obwohl sich das Gebäude im kanadischen Winnipeg befindet, steht der Name der Schule in Farsi auf dem Gebäude. Durch ein eher kleines Fenster sieht man Schüler:innen im Klassenzimmer toben, bis sich ein Lehrer durch den Schnee mit zwei Koffern nähert, bald das Klassenzimmer betritt und mit nicht gerade feinfühligen Methoden für Ruhe sorgt.


Er beschimpft seine Schüler:innen als dumm, macht sich über ihre Berufswünsche, die von Mode-Designer bis Komiker à la Groucho Marx reichen lustig, und schickt die Kinder schließlich in die Toilette, obwohl diese einwenden, dass dort keinesfalls Platz für alle sei.


Wie aus der Zeit gefallen wirkt "Universal Language" dabei schon durch den Dreh auf analogem 16-mm-Film und die daraus resultierenden leicht unscharfen Bilder. Aber auch das Klassenzimmer versetzt mit seinen kahlen Wänden und der grünen Tafel in die 1950er oder 1960er Jahre.


Gesprochen wird dabei im Unterricht nicht Englisch, sondern Farsi, denn sowohl beim Lehrer als auch bei den Schüler:innen handelt es sich ausnahmslos um iranische Migrant:innen. Nicht genug damit ist wie die Schule auch die Ortstafel in Farsi angeschrieben, sodass man sich weniger in Winnipeg als vielmehr in Teheran wähnt.


Wie die statische Totale am Beginn an die Filme Wes Andersons erinnert, so ist der ganze zweite Spielfilm des Kanadiers Matthew Rankin von filmischen Referenzen durchzogen. Autobiographisch geprägt ist auch der Umstand, dass weitgehend Farsi gesprochen wird, denn der 1980 geborene Rankin reiste als 21-Jähriger in den Iran, um bei den großen Meistern des iranischen Kinos zu studieren, kehrte aber nach drei Monaten wieder in seine Heimat zurück.


Durchzogen ist sein Film aber von dieser großen Liebe zum iranischen Kino. Das beginnt schon beim Vorspanninsert "In the Name of Friendship" und setzt sich auf der Handlungsebene fort. Wenn nämlich zwei Schülerinnen nach Verlassen der Schule einen im Eis eingefrorenen 500 Rial-Schein finden, zitiert Rankin damit ebenso Jafar Panahis "Der weiße Ballon", in dem ein Mädchen an eine Banknote herankommen will, die unter einem Gullydeckel liegt, wie mit der Suche nach der Brille eines Mädchens, die ein Truthahn geklaut hat, Abbas Kiarostamis "Wo ist das Haus meines Freundes?"


Keinen Zusammenhang haben die Szenen zunächst, wenn zu den Schüler:innen ein iranischer und folglich auch Farsi sprechender Fremdenführer mit pinken Ohrenwärmern und ein vom Regisseur selbst gespielter in Quebec lebender Regierungsbeamte kommt.


Während der Fremdenführer Tourist:innen zu winterlich verschneiten Unorten des scheinbar ganz von tristen Highways bestimmten Winnipeg führt, bricht dabei der Regierungsbeamte mit dem Bus in seine Heimatstadt Winnipeg auf, um seine alte Mutter zu besuchen.


Einen dokumentarischen Touch erhält "Universal Language" dabei mit dem Besuch der Sehenswürdigkeiten wie des Denkmals für den Rebellen Louis Riel (1844 – 1885), an dem der Guide eine 30-minütige Gedenkpause einlegt, oder das Einkaufszentrum Portage Place, in dem Verweilen verboten ist, da man Herumlungern vermeiden will. Gleichzeitig weckt diese Verankerung in und das Spiel mit dem Setting Winnipeg Erinnerungen an den ebenfalls aus dieser Stadt stammenden Regisseur Guy Maddin, der seiner Heimatstadt mit dem surrealen Pseudo-Dokumentarfilm "My Winnipeg" (2007) ein Denkmal gesetzt hat.


Unübersehbar von den Tableaux des Schweden Roy Andersson ist andererseits eine Szene in Quebec inspiriert, in der ein schwer übergewichtiger Minister über seine Begeisterung für die Unabhängigkeit Quebecs schwadroniert, während daneben in einer Kabine ein Mann schluchzt.


Dies ist aber nur ein Bruchteil der surreal-absurden Szenen und Details, an denen dieses filmische Kleinod übervoll ist. Denn da gibt es beispielsweise auch ein Kleenex-Shop, der ebenso vollgestopft mit Kleenex ist, wie ein Truthahnladen mit Truthähnen. Dazu kommt eine Frau, die in Gläsern unterschiedliche Tränen von Geburtstags- über Freuden- bis Trauertränen sammelt und an Interessierte verkauft, oder ein Truthahn, der im Bus von Quebec nach Manitoba zum Leidwesen seiner Sitznachbarin auf einem eigenen Platz sitzt, da er ja dafür bezahlt hat.


Beglückend ist aber nicht nur der Reichtum der Szenen, sondern auch der knochentrockene Humor und die sanfte Melancholie, von denen sie durchzogen sind. Wie die Szenen isoliert stehen, so wirken auch die Figuren isoliert und verloren in dieser winterlich kalten Welt. Nie werden Identitätsverlust durch Migration und Suche nach neuer Identität und Heimat konkret thematisiert, dennoch sind diese Verlusterfahrungen und Sehnsüchte immer spürbar, bis Rankin seine Figuren im Finale ebenso überraschend wie überzeugend und selbstverständlich zusammenführt.


Mit diesem Ende signalisiert Rankin nicht nur, wie die Leben unterschiedlichster Menschen, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben, miteinander verflochten sind, sondern "Universal Language" entwickelt sich hier auch zur humanistischen Ode, die berührend Empathie und Fürsorge als das Verbindende zwischen Menschen feiert, auch wenn Sprachgrenzen sie zu trennen scheinen.

 

 

 

Universal Language

Kanada 2024

Regie: Matthew Rankin 

mit: Rojina Esmaeili, Saba Vahedyousefi, Sobhan Javadi, Pirouz Nemati, Matthew Rankin, Mani Soleymanlou, Danielle Fichaud, Bahram Nabatian, Ila Firouzabadi, Hemela Pourafzal, Dara Najmabadi

Länge: 89 min.



Läuft derzeit in den Kinos



Trailer zu "Universal Language"



 

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