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AutorenbildWalter Gasperi

Undine


Christian Petzold schließt den Mythos der Wasserfrau Undine, die den Mann, der sie verrät, töten muss, mit der modernen Welt kurz. – Ein mit höchster Präzision inszenierter, gleichzeitig poetischer wie kühler Film über die Macht der Liebe.


Gespensterhaftes zieht sich durch die Filme von Christian Petzold von der untergetauchten Terroristenfamilie in „Die innere Sicherheit“ (2000) über die als Untote wiederkehrende Yella im gleichnamigen Film (2007) und die Adaption von Grimms Märchen „Das Totenhemdchen“ mit „Gespenster“ (2005) bis zu der Rückkehr vermeintlich Toter im Nachkriegsfilm „Phoenix“ (2014).


Diese Linie setzt Petzold mit „Undine“, der den Auftakt einer Trilogie über Figuren der deutschen Romantik bilden soll, fort. Zwar erscheint die titelgebende Protagonistin als in der heutigen Realität verwurzelte Historikerin (Paula Beer), die Führungen zur Architekturgeschichte Berlins macht, doch bald schon tritt ihre Affinität zum Wasser zu Tage.


Die Konzentration und Präzision, die die Filme des 60-Jährigen auszeichnen, entwickelt schon die erste Szene: Ganz auf den Gesichtern von Undine und ihrem Geliebten Johannes (Jacob Matschenz) liegt der Fokus, als er ihr im Garten eines Cafés erklärt, dass er sie verlassen werde. Man spürt in Paula Beers Gesicht die Fassungslosigkeit und den Schock dieser Frau. Ganz selbstverständlich und mit größtem Ernst erklärt sie Johannes, dass sie ihn in diesem Fall töten müsse.


Eine Welt bricht für sie zusammen, doch als sie nach einem Vortrag zur Baugeschichte Berlins zum Café zurückkehrt, trifft sie auf den Industrietaucher Christoph (Franz Rogowski). Als er sie zum Kaffee einlädt, reagiert sie irritiert und abwesend, doch als durch ein Missgeschick das riesige Aquarium im Café birst und die beiden beinahe wegspült, bricht die Liebe aus und für Undine beginnt ein neues Leben.


Mit Christoph kommt aber auch der Gegensatz von moderner Stadt und Natur ins Spiel, denn als Taucher arbeitet er vor allem in einem Stausee in einem Wald bei Wuppertal. Eisenbahnfahrten zwischen Berlin und Christophs Arbeitsort betonen diese Distanz und auch die sich schließenden und öffnenden Glastüren der Züge können als Bild für das Spannungsfeld zwischen Nähe und Trennung gelesen werden. Während aber die früheren Filmen Petzolds von Autofahrten bestimmt wurden, die das Rastlose der Figuren vermittelten, fungieren hier die Zugfahrten nur als Bindeglied der getrennten Welten.


Die Gefährdung der Liebe deutet sich schon an, als Undine Christoph bei einem Tauchgang begleitet, dabei aber fast ums Leben kommt. Mit der Unterwasserwelt, in der sich nicht nur Spuren einer vergangenen Zeit, sondern auch ein riesiger Wels findet, bringt Petzold wiederum einen Gegenpol zur Stadtarchitektur des auf einem Sumpf erbauten Berlin ins Spiel. Wie durch das Aufstauen des Sees zur Energiegewinnung eine Welt versank, erinnert das Stadtmodell, das Undine bei ihren Führungen erklärt, an die Veränderungen, Zerstörungen und Leerstellen im Stadtbild der deutschen Hauptstadt im Lauf der Jahrhunderte.


Diese Brüche in der Stadtgeschichte korrespondieren gewissermaßen mit den Brüchen im individuellen Leben, denn eine erste Irritation in der Liebe zwischen Undine und Christoph stellt sich ein, als sie exakt in der Mitte des Films bei einem Spaziergang ihren Ex-Freund Johannes wieder sieht.


Die Positionen haben sich jetzt aber verschoben, denn als Johannes Undine zurückzugewinnen versucht, lässt sie ihn wortlos stehen. Wie Christoph sie nach ihrem Tauchunfall zu "Stayin Alive" von den Bee Gees reanimierte, so hört sie nun befreit diesen Disco-Hit, doch auf Dauer kann sie dem Mythos nicht entkommen.


Auch auf der musikalischen Ebene arbeitet Petzold dabei mit einem Gegensatz, wenn dem Popsong "Stayin Alive" als musikalisches Leitmotiv Klänge aus einem Cembalokonzert von Johann Sebastian Bach gegenüberstehen. Unterstützt wird von diesen kleinen Reibungen das große Spannungsfeld vom festen Grund und der nüchternen, entzauberten heutigen Welt auf der einen Seite und der fließenden, märchenhaften Unterwasserwelt. Wie in seinen früheren Filmen erweist Petzold dabei mit diesen Unterwasserszenen dem klassischen Hollywoodkino seine Reverenz, nennt er doch Richard Fleischers "20.000 Leagues under the Sea" und Jack Arnolds "Creature from the Black Lagoon - Der Schrecken vom Amazonas" als Vorbilder dafür.


Jede Einstellung von Petzolds Stammkameramann Hans Fromm ist dabei so präzise gewählt, jeder Schnitt von Bettina Böhler, die ebenfalls zum fixen Team Petzolds gehört, so messerscharf gesetzt, dass hier nichts beliebig wirkt, jedes Bild Bedeutung gewinnt und sich einprägt.


Entscheidend trägt diese minimalistische und ungemein konzentrierte Inszenierung zur Faszination und Sogkraft bei. Alles scheint hier zwar offen da zu liegen, nicht mehr als eine Beziehungsgeschichte scheint erzählt zu werden und dennoch bewahrt "Undine", der mit Paula Beer, die in den Filmen Petzolds seit „Transit“ die Nachfolge von Nina Hoss angetreten hat, und Franz Rogowski auch stark besetzt ist, durch die für Petzold typischen Leerstellen und Ellipsen ein Geheimnis, das diesen Liebesfilm nachwirken lässt.


Läuft ab 1. Juli in den österreichischen und ab 27. August in den Schweizer Kinos TaSKino Feldkirch im Kino Rio: Mi 1.7., 18 Uhr; Do 2.7., 20.30 Uhr; Fr 3.7. + Sa 4.7., jeweils 22 Uhr

FKC Dornbirn im Cinema Dornbirn: Mi 15.7., 18 Uhr + Do 16.7., 19.30 Uhr


Trailer zu "Undine"



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