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AutorenbildWalter Gasperi

The Irishman


In 210 dichten Minuten lässt Martin Scorsese den Mafia-Auftragskiller Frank Sheeran auf sein Leben und seine Beziehung zum berüchtigten Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa blicken. Souverän verknüpft der Altmeister in dem handwerklich brillanten und großartig besetzen Epos blutige Mafia-Geschichte mit zentralen Ereignissen der US-Geschichte der 1950er bis 1970er Jahren.


Zu den Langzeitprojekten Martin Scorseses gehört die Verfilmung von Charles Brandts 2004 erschienenem True-Crime-Report „I Heard You Paint Houses“. 2016 schien endlich eine Realisierung möglich, als Paramount sich die Filmrechte sicherte, doch dann zog sich das Hollywood-Studio aufgrund steigender Produktionskosten vom Projekt zurück. Der Streaming-Dienst Netflix sicherte sich dafür nun die Filmrechte, gab Scorsese freie Hand und ließ den Film für 159 Millionen Dollar Produktionskosten realisieren.


Wie von vornherein geplant holte sich Scorsese als Hauptdarsteller erstmals seit „Casino“ Robert De Niro und erstmals überhaupt arbeitete er mit Al Pacino zusammen. Wie ein Klassentreffen aus den Zeiten des New Hollywood der 1970er Jahre wirkt das, wenn auch noch Joe Pesci und in einer Nebenrolle Harvey Keitel dazukommen.


Erlesen ist aber auch das Team hinter der Kamera. Für den Schnitt zeichnet wie bei allen Filmen Scorseses seit „Raging Bull“ Thelma Schoonmaker verantwortlich, an der Kamera stand nach „Wolf of Wall Street“ und „The Silence“ zum dritten Mal für Scorsese der Mexikaner Rodrigo Prieto. Ebenfalls zum fixen Team Scorseses gehört die mit vier Oscars ausgezeichnete Kostümbildnerin Sandy Powell und den fulminanten Soundtrack steuerte wie für zahlreiche Filme Scorseses seit „Raging Bull“ Robbie Robertson bei.


Die Brillanz des mit zahlreichen zeitgenössischen Popsongs angereicherten Soundtracks zeigt sich schon bei der einleitenden langen gleitenden Steadycam-Fahrt durch ein Altersheim, wenn im Evergreen „In the Still of the Night“ von Erinnerungen die Rede ist, denn eine einzige große Erinnerung ist dieser Film. Vorbei an anderen Insassen nähert sich die Kamera nämlich dem im Rollstuhl sitzenden Frank Sheeran (Robert De Niro). Dreh- und Angelpunkt des Films ist diese Szene und dieser Raum. Von hier aus wird aus der subjektiven Perspektive des Erzählers auf die Vergangenheit zurückgeblickt, hier wird der Film zusammengehalten.


Gleichzeitig kommen mit dem Rückblick bei diesem in dunkle Farben getauchten Film freilich auch Themen wie Vergänglichkeit und Altern ins Spiel und die für Scorseses Werk zentralen Fragen von Schuld, Reue und Vergebung, denn Sheeran erinnert sich nicht nur, sondern diese Erinnerung ist auch ganz konkret eine Beichte bei einem katholischen Priester.


Mit einer Rückblende gibt sich der 77-jährige Altmeister allerdings nicht zufrieden, sondern packt in diese Erinnerung an eine von zahlreichen Raucherpausen unterbrochene Autofahrt von New York nach Detroit im Jahre 1975 noch weitere Rückblenden, die bis in die Kriegserfahrungen Sheerans während des Zweiten Weltkriegs in Italien zurückführen. Im Zentrum steht aber sein Aufstieg in den späten 1950er Jahren vom Lastwagenfahrer, der Teile der Fleischladung illegal an die Mafia verkauft, zum Auftragskiller des Mafia-Bosses Rosario „Russell“ Bufalino (Joe Pesci) und schließlich zum Leibwächter des Gewerkschaftsbosses Jimmy Hoffa (Al Pacino).


Sheeran steht dabei als Handlanger, der stoisch alle Aufträge ausführt, zwischen dem ruhigen Mafia-Boss, der sich nie die Finger schmutzig macht, und dem immer wieder aufbrausenden Gewerkschaftsführer. Starke Charaktere hat Scorsese hier geschaffen und während man früher für die Verkörperung der im Laufe des Films rund 20 bis 30 Jahre alternden Figuren verschiedene Schauspieler benötigt hätte, werden hier die 76-jährigen Stars De Niro, Pesci und Pacino mittels Computertechnik perfekt verjüngt. Fließend altern sie so, kein Bruch stellt sich ein.


Bald wird hier auch klar, was mit dem Ausdruck „I Heard I Paint Your Houses“ gemeint ist, wenn einem Gegner in den Kopf geschossen wird und Blut an die Wand spritzt. Es geht eben nicht nur um Sheeran und Hoffa, sondern um die Gewalt als zentrale Konstituente der amerikanischen Geschichte und natürlich um die Verknüpfung von Verbrechen und Politik.


Souverän verbindet Scorsese so die inszenierte Geschichte über Archivmaterial mit der katastrophal gescheiterten Invasion in der Schweinebucht, der Kubakrise und der Ermordung Kennedys bis zum Watergate-Skandal. Für erstere liefert Sheeran im Auftrag der Mafia Waffen und dem allgemeinen Schock über die Ermordung Kennedys steht die heimliche Freude Hoffas gegenüber. Verhasst war dem Sohn eines Grubenarbeiters diese Politikerfamilie nicht nur wegen ihres Reichtums, sondern auch weil Robert Kennedy als Justizminister alles daran setzte ihn ins Gefängnis zu bringen, für die finanzielle Unterstützung Nixons bei der Präsidentenwahl wurde er dagegen 1971 auf Bewährung vorzeitig aus der Haft entlassen.


Aber auch das Private kommt bei „The Irishman“ nicht zu kurz, denn Scorsese zeigt auch, wie Sheeran seine Töchter durch seinen gewalttätigen Job verliert, sich die geliebte Peggy von ihm abwendet und schließlich kein Wort mehr mit ihm spricht.


Wenn dieses wuchtige Epos am Ende ins Altersheim zurückkehrt, in dem Sheeran alleine sitzt, dann erinnert das auch an das Ende von „Raging Bull“, in dem Scorsese vom Aufstieg des Boxers Jake La Motta erzählte, der am Ende allein da steht, weil an seiner Gewalttätigkeit alle Beziehungen zerbrachen. Wie ein Schlusspunkt im Werk eines großen Regisseurs wirkt "The Irishman" so: Von Altersmüde ist nichts zu spüren, dynamisch und kraftvoll ist die Inszenierung und noch einmal sind alle Themen präsent, die Scorseses Schaffen seit „Boxcar Bertha“, „Mean Streets“ und „Taxi Driver“ durchziehen.


Läuft derzeit im Kino Rio in Feldkirch und im Kino Scala in St. Gallen (jeweils engl. O.m.U.)


Trailer zu "The Irischman"



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