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  • AutorenbildWalter Gasperi

Streaming: Munyurangabo


Demnächst wird Lee Isaac Chungs für mehrere Oscars nominiertes Drama "Minari" in den Kinos anlaufen. Schon jetzt kann auf mubi.com Chungs 2007 gedrehtes, beeindruckendes Debüt gestreamt werden, in dem der koreanischstämmige Amerikaner den Völkermord in Ruanda thematisiert.


Es ist schon eine seltsame Kombination, dass ausgerechnet ein koreanischstämmiger Amerikaner den ersten Spielfilm in Kinyarwanda, der offiziellen Sprache Ruandas dreht, und den Völkermord in diesem zentralafrikanischen Land thematisiert, dem im Frühjahr 1994 etwa 800.000 bis 1.000.000 Menschen zum Opfer fielen.


Über seine Frau, die als Kunsttherapeutin als Freiwillige bei einem Projekt mit Überlebenden des Genozids arbeitete, kam auch Lee Isaac Chung nach Ruanda und unterrichtete dort in Kigali eine Filmklasse. Aus dieser Erfahrung entstand der Film, den Chung auf Basis eines neunseitigen Outlines in elf Tagen mit Laiendarstellern und seinen Studenten als Crew-Mitgliedern drehte. Chung selbst zeichnet dabei nicht nur für Regie, sondern auch für Kamera und Schnitt verantwortlich.


Schon die ersten Bilder des auf Super-16mm Material gedrehten Debüts nehmen gefangen. Die grobkörnigen, leicht unscharfen Bilder erzeugen eine ganz andere Intensität als Hochglanzaufnahmen. Eine Poesie und eine Sensibilität für Figuren und Landschaft entwickelt "Munyurangabo" dadurch, die an Barry Jenkins "Moonlight" oder auch an Chloé Zhaos Debüt "Songs My Brothers Taught Me" erinnern. Interessant ist freilich auch, dass Chung wie die in Amerika lebende Chinesin Zhao, die in "Songs My Brothers …" die Lebensbedingungen der im Pine Ridge Indian Reservat erkundete, sich einer ihm im Grunde fernen Region und Geschichte widmet.


Unvermittelt setzt "Munyurangabo", dessen Titel sich auf den Namen eines der beiden jugendlichen Protagonisten bezieht, der abgekürzt nur Ngabo genannt wird, mit einer Szene auf einem Markt in Kigali ein. Der Tutsi Ngabo entwendet hier eine Machete, ehe er mit dem Hutu Sangwa, mit dem er trotz des Genozids befreundet ist, aus der Stadt aufbricht. Ihr Weg führt sie in Sangwas Heimatdorf, wo sie aber nur kurz bleiben wollen. Während Sangwas Mutter berührt von der Rückkehr ihres Sohnes ist, der das Dorf vor drei Jahren verlassen hat, macht ihm der Vater heftige Vorwürfe. Dennoch findet sich Sangwa bei der Arbeit auf dem Feld oder der Reparatur eines Lehmhauses langsam wieder in diesem Leben ein und möchte hier bleiben.


Ngabo drängt aber zur Weiterreise, angeblich um Arbeit zu suchen, in Wirklichkeit will er aber den Hutu töten, der während des Genozids seinen Vater ermordet hat. Während Sangwas Vater dem Tutsi ablehnend gegenübersteht, versucht Sangwa selbst seinen Freund von seinen Mordplänen abzubringen. Ngabo ist aber entschlossen weiter zu ziehen und Rache zu nehmen.


Klassisch in drei Akte gliedert sich Chungs Debüt mit der Reise in Sangwas Dorf, den Erfahrungen im Dorf und der Weiterreise Ngabos. Etwas seltsam ist freilich, wie Sangwa, der zunächst Hauptperson ist, nach zwei Drittel völlig aus dem Film verschwindet. Neben der äußeren Reise von der Stadt aufs Land und dann ins zerstörte Dorf von Ngabo erzählt "Munyurangabo" dabei gleichzeitig von einer Reise von der Gegenwart in die Vergangenheit, aber auch von einer inneren Wandlung.


Während in der Freundschaft von Sangwa und Ngabo von der Möglichkeit des Miteinanders von Hutus und Tutsis und der Versöhnung erzählt wird, werden in der Figur des Vaters die Ressentiments sichtbar, und mit der Ankunft Ngabos in seinem Dorf wird eindringlich an die Schrecken des Genozids erinnert. Aber auch hier treten an die Stelle von Rachegedanken zunehmend der Wunsch auf Vergebung und Versöhnung. Eindrücklich beschwört hier gegenüber Ngabo ein junger Mann seine Hoffnungen für Ruanda, wenn er in einem langen Gedicht Überwindung der Feindseligkeiten und Förderung von Bildung, Frauenrechte und Bekämpfung von häuslicher Gewalt und Armut fordert.


Ganz ruhig und unaufgeregt erzählt Chung diese Geschichte, folgt bald mit Handkamera seinen Protagonisten und lässt seinen Schauspieler*innen dann immer wieder in langen statischen Einstellungen Raum, um sich auszusprechen oder auch zu streiten. Bleibt hier die Kamera zumeist auf Distanz, die durch den Blick durch Türrahmen oder Fenster noch verstärkt wird, so ist sie später ganz nah an Ngabo dran. Wenn dieser junge Mann freilich auf Sangwas Familie blickt, wird auch berührend erfahrbar, welches familiäre Glück er durch den Genozid verloren hat.


Kein großes Spektakel ist hier nötig, sondern gerade durch seine Stille, zu der auch der sehr reduzierte Musikeinsatz beiträgt, und die Einbettung in ein authentisches Milieu und Charaktere entwickelt dieses Debüt große emotionale Kraft und wirkt mit seinem leisen, aber intensiven Plädoyer für Versöhnung lange nach.


Streaming bei mubi.com


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