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  • AutorenbildWalter Gasperi

Ema - Ema y Gastón

Aktualisiert: 19. Okt. 2020


Eine Tänzerin und ein Choreograf geben ihr adoptiertes Kind zurück, doch dann besinnt sich die Frau eines anderen, und beginnt um den achtjährigen Jungen zu kämpfen. – Pablo Larrain entwickelt daraus einen elektrisierenden Rausch aus Bewegung, Licht und Farbe, bietet intensives Körperkino und wirbelt Geschlechterrollen und Familienkonzepte kühn durcheinander.


Zuerst hört man das Knistern von Feuer, dann setzt Musik ein und schließlich folgt das erste Bild: eine brennende Ampel auf einer nächtlichen Straße. Im Vordergrund steht die Tänzerin Ema (Mariana Di Girolamo), die mit ihrem Feuerwerfer offensichtlich für den Brand verantwortlich ist.


So ungewöhnlich, aufregend und einprägsam der Auftakt des achten Spielfilms des 1976 geborenen Chilenen Pablo Larrain ist, so ungewöhnlich, aufregend und mitreißend sind die ganzen folgenden 102 Minuten.


Immer schon gehörte Larrain zu den experimentierfreudigsten Regisseuren des aktuellen Weltkinos. Formal eigenwillige Wege beschritt er bei der Nachzeichnung der Volksabstimmung gegen Pinochet in „No!“ (2012) ebenso wie bei der Auseinandersetzung mit Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche in „El Club“ (2015) und dem Biopic „Neruda“ (2016) oder dem Porträt der Witwe von John F. Kennedy in „Jackie“ (2016), bei dem er sich auf wenige Tage nach der Ermordung Kennedys beschränkte.


Mitten hinein ins Geschehen wirft Larrain nun den Zuschauer in dem in der chilenischen Küstenstadt Valparaiso spielenden „Ema“. Erst langsam werden in der stark fragmentierten und auch nicht zwingend chronologischen Erzählweise Zusammenhänge sichtbar, die der Zuschauer im Kopf zu einer Geschichte zusammenfügen muss.


Klar wird so langsam, dass Ema und Gaston (Gael Garcia Bernal) den achtjährigen kolumbianischen Jungen Polo, den sie adoptierten, offensichtlich nach zehn Monaten wieder zurückgegeben haben, da er sich als pyromanisch veranlagt entpuppte, ein Zimmer in Brand steckte und Emas Schwester dabei schwer verletzte. An der Rückgabe des Kindes droht aber nun die Beziehung zwischen der Tänzerin und dem Choreographen zu zerbrechen, gleichzeitig lieben sie sich aber immer noch, scheinen nicht voneinander los zu kommen.


Über den Beruf dieser Protagonisten fügt Larrain immer wieder Tanzszenen ein, die vom treibenden Rhythmus des Reggaeton bestimmt sind. Enormen Sog entwickeln diese Szenen, in denen die Kamera stets in Bewegung ist, langsam kreist, sich nähert oder sich entfernt, und der Feuerball, vor dem getanzt wird seine Farbe langsam von Blau zu leuchtendem Rot wechselt.


Dramaturgisch scheinen diese Szenen aber bewusst keine Funktion zu haben. Nicht auf eine Aufführung laufen die Proben hinaus, sondern einzig um die Feier des menschlichen Körpers und seiner Bewegung geht es Larrain, um die Intensität des Augenblicks und des Erlebens des Körpers, und fast physisch spürbar wird dabei diese Körperlichkeit.


Weil Gaston wenig Verständnis für Emas Wunsch zeigt, Polo zurückzugewinnen, kommt es nicht nur in der Beziehung zu großen Belastungen, sondern auch in der Tanzgruppe. Und weil Ema bei ihrem Plan auch vom Jugendamt keine Unterstützung erhält, sucht sie neue Wege.


Nicht nur neue Allianzen und Beziehungen ergeben sich damit, sondern auch das Porträt einer absolut freien Frau wird gezeichnet, die klassische Rollenbilder überschreitet, als Mutter mit dem Tabu der Kindesverstoßung bricht, dann doch wieder Mutter-Gefühle entwickelt, eine auch erotische Gemeinschaft mit den anderen Tänzerinnen bildet, einen Feuerwehrmann ebenso wie die mit ihm verheiratete Anwältin ohne deren Wissen für ihre Zwecke einspannt.


So werden in diesem Film, der sich auch visuell mit der mit Feuerwerfer durch die Stadt ziehenden Ema, die einmal ihr Auto in Brand steckt, einbrennt, auch Familienmodelle abseits aller Traditionen verhandelt und präsentiert. Wie die Protagonistin befreit sich dabei auch Larrain von allen Konventionen, erzählt völlig befreit von allen narrativen Regeln und feiert so auch über die Form diese Ungebundenheit und Unabhängigkeit.


Dass „Ema“ dabei so mitreißt und vibrierende Kraft entwickelt, ist neben der Musik, den Bewegungen der Körper und der Kameraarbeit sowie der Arbeit mit Licht und Farbe auch dem herausragenden Spiel der 28-jährigen Mariana Di Girólama zu verdanken, deren enorme physische Präsenz durch die platinblonden Haare noch verstärkt wird. Sie spielt diese Ema nicht, sondern versetzt sich mit vollem Körpereinsatz in diese Rolle und lebt diese Frau, deren Leidenschaft und Strahlkraft durch den Gegenpol von Gael Garcia Bernals ruhigem oder auch unbeholfenem Gaston noch gesteigert wird.



Trailer zu "Ema - Ema y Gaston"



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