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AutorenbildWalter Gasperi

Ruäch - Eine Reise ins jenische Europa


Andreas Müller, Marcel Bächtiger und Kameramann Simon Guy Fässler tauchen in ihrem Dokumentarfilm in die Welt der Jenischen ein, bieten Einblick in ihre Sprache, ihre Lebensweise und ihre Diskriminierung. Die Begegnungen mit in Kärnten, Graubünden und Savoyen lebenden Mitgliedern dieser nicht-sesshaften Volksgruppe fügen sich dabei zu einem beeindruckenden Bild dieser abseits der Mehrheitsgesellschaft lebenden Menschen.


Immer wieder sieht man das Wohnmobil, mit dem die Regisseure Andreas Müller und Marcel Bächtiger sowie der Kameramann Simon Guy Fässler unterwegs sind. Ihre Fahrten, die den roten Faden von "Ruäch – Reise ins jenische Europa" bilden, korrespondieren mit der nicht-sesshaften Lebensweise der Jenischen, die die Filmemacher über sieben Jahre mit der Kamera begleitet haben.


Geleitet wird das Trio dabei teilweise durch Telefonate mit einem Jenischen, der ihnen Tipps gibt, aber selbst unerkannt bleiben möchte. Besser sei es nämlich für Jenische sich nicht öffentlich zu zeigen und nie könne ein Jenischer so einen Film machen, denn immer noch bestimme Angst vor Aufmerksamkeit ihr Leben: Lieber wolle man deshalb unsichtbar bleiben.


Von außen blicken so die Regisseure auf diese Volksgruppe. Sie sind eben, wie später erklärt wird, "Ruäch", also nicht Jenische und begegnen dieser Welt und ihren Mitgliedern doch ganz auf Augenhöhe, tauchen in sie ein und blicken nie von oben auf sie herab. Im Blick auf das Fremde und der Suche nach der Definition und den Kennzeichen der Jenischen werfen sie dabei ganz allgemein Fragen nach Identität auf.


Vom französischen Savoyen nach Graubünden und Kärnten führt die Reise und auch im Pendeln zwischen diesen Orten spiegelt sich die halbnomadische Lebensweise der Jenischen. Offen bleiben dabei Müller, Bächtiger und Fässler für die Menschen, denen sie begegnen. Sie zwingen ihnen nichts auf, sondern schauen ihnen ruhig mit der Kamera zu, begleiten die Jugendlichen, wenn sie mit bloßer Hand Fische fangen oder wenn die Erwachsenen jagen oder angeln und lassen sie über ihren Alltag und ihr Leben erzählen. Die Filmemacher selbst halten sich zurück, überlassen den filmischen Raum ganz den gesellschaftlich immer noch Ausgegrenzten und stellen nur dann Fragen, wenn es nötig ist.


Von der eigenen Sprache, die langsam verschwindet, erzählen sie ebenso wie davon, dass ihnen immer nur außerhalb der Dörfer Wohnplätze zugestanden wurden. Ihre Musik, deren feurige Lebenskraft in den Szenen spürbar wird, in denen man sie beim Musizieren sieht, schätze die Mehrheitsgesellschaft zwar, doch mit ihnen selbst und ihrer Lebensweise wolle man lieber nichts zu tun haben.


In Savoyen fokussiert das Regie-Duo auf Isabelle, die von ihrem langjährigen Kampf mit dem Bürgermeister für bessere Unterkünfte erzählt, in Kärnten steht Manuel Duda, der den Lebensunterhalt für sich und seine Familie als fahrender Messerschleifer verdient, im Zentrum. Auf Reichtum legt Duda keinen Wert, lieber wolle er nur zwei Stunden am Tag arbeiten und dafür mehr Zeit mit seinen Kindern im Wald verbringen. In Graubünden werden schließlich Liesbeth und ihre Mutter Irma begleitet, die auf einem Campingplatz an der Straße zum San Bernardino leben.


Der Freiheitsdrang durchzieht als zentrales Moment dieses dokumentarische Roadmovie, doch ganz so frei wie einst, seien sie heute auch nicht mehr, denn auch sie müssten ja Sozialversicherung und Steuern zahlen.


Außen vor bleibt für einmal die Mehrheitsgesellschaft, ganz auf die Welt der Jenischen konzentriert sich der Film. In den ruhigen Beobachtungen und Gesprächen entwickelt sich Nähe zu den Porträtierten, die sukzessive auch tiefere Einblicke in Diskriminierung und Repressionen bieten. Der Auffassung, dass die Jenischen heute akzeptiert seien, widersprechen sie und erklären, dass man sie immer noch als arbeitsscheue Faulenzer und Diebe ansehe.


Ein bedrückendes Bild der Schweiz der 1960er und 1970er entwickelt sich dabei, wenn Lisbeth erzählt, dass sie unter dem Vorwand einer tatsächlich nicht vorhandenen Krebserkrankung des Unterleibs sterilisiert worden sei. René wiederum berichtet, wie er im Rahmen des "Hilfswerks Kinder der Landstraße", durch das zwischen den 1920er und 1970er Jahren 600 jenische Kinder gewaltsam von ihren Eltern getrennt wurden, als Kind von der Straße weg verschleppt, in ein Kinderheim gesteckt und einem Bauer als Hilfskraft übergeben worden sei. Nicht verwunderlich ist es für ihn angesichts solch traumatischer Erfahrungen, dass viele Jenische ein Alkoholproblem haben.


Die Erzählungen und Momentaufnahmen fügen sich so zu einem eindrücklichen Bild nicht nur der Menschen, die die Filmemacher begleiteten, sondern der Jenischen insgesamt, dokumentieren aber auch den Wandel und das langsame Verschwinden dieser Kultur, wenn die Erwachsenen über die zunehmenden Schwierigkeiten beim Sammeln von Altmetall sprechen oder die Kinder die jenische Sprache nicht mehr beherrschen.



Ruäch – Eine Reise ins jenische Europa Schweiz 2022 Regie: Andreas Müller, Simon Guy Fässler, Marcel Bächtiger Dokumentarfilm mit: Lisbeth Sablonier, Isabelle Gross, Manuel Duda, Sylvana Duda, Marco Duda, Joana Duda, Leon Duda Länge: 118 min.


Läuft jetzt in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen


Trailer zu "Ruäch - Eine Reise ins jenische Europa"


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