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  • AutorenbildWalter Gasperi

Nahschuss


Franziska Stünkel erzählt in ihrem Spielfilmdebüt, inspiriert von der Geschichte Werner Teskes, von der letzten Hinrichtung in der DDR im Jahr 1981: Die dank ebenso genauer wie nüchterner Inszenierung und starkem Spiel von Lars Eidinger, Devid Striesow und Luise Heyer beklemmende Schilderung eines perfiden und menschenverachtenden Regimes ist bei Alamode Film auf DVD und Blu-ray erschienen.


Am 26. Juni 1981 wurde der Stasi-Mitarbeiter Werner Teske wegen angeblich vollendeter Spionage und versuchter Fahnenflucht mit einem unerwarteten Kopfschuss von hinten – einem sogenannten Nahschuss – hingerichtet. Selbst nach DDR-Recht war dieses Urteil rechtswidrig, denn der Tatbestand der "vollendeten Spionage" lag bekanntermaßen nicht vor. Doch an Teske sollte ein Exempel statuiert werden. - Es war laut Aktenlage das letzte von 166 Todesurteilen, die in der DDR vollzogen wurden.


Aus dem studierten Finanzökonomen Werner Teske wird bei Franziska Stünkel der junge Wissenschaftler Franz Walter (Lars Eidinger). Dass er tragisch enden wird, lässt schon die erste Einstellung ahnen, wenn aus dem Schwarz heraus langsam ein Gitter sichtbar wird, hinter dem ein Mann mit verweinten Augen sitzt und bald schwer zu atmen beginnt.


Mit einem Schnitt wechselt Stünkel aber zu einem glücklichen jungen Paar. Für ein Jahr soll Franz nach seiner Promotion zu einem Auslandseinsatz nach Äthiopien, doch aus dem startbereiten Flugzeug holt ihn die Staatssicherheit. Eine Verhaftung legt diese Szene nahe, doch das Gegenteil ist der Fall: Franz wird eine Professur an der Uni angeboten, falls er davor ein Jahr für den Auslandsnachrichtendienst der DDR arbeitet.


Ein Schwachpunkt ist diese Szene. Wenig glaubwürdig ist nämlich, dass die Stasi Franz dramatisch aus dem Flugzeug holt, denn den Vorschlag hätte man ihm auch schon vorher unterbreiten können. – Hier spielt Stünkel einzig mit den Emotionen des Publikums und will Spannung aufbauen.


In Kontrast zur sachlich-nüchternen Inszenierung des restlichen Films steht diese spekulative Szene. Genauen Einblick in die perfiden Mechanismen des Unrechtsstaates bietet die 49-jährige Regisseurin nämlich in den folgenden 110 Minuten. In der Konzentration auf ein Einzelschicksal kann sie dabei ein beklemmendes Bild des gesamten Regimes vermitteln.


An Walters Geschichte zeigt Stünkel, wie das Regime mit Belohnung, Erpressung und Manipulation arbeitete. Für seine Bereitschaft zur Mitarbeit erhält er so sogleich eine luxuriöse Wohnung, in die er mit seiner Freundin Corina (Luise Heyer) zieht. Zudem weckt man sein Interesse dadurch, dass man den Hobbyfußballer auf einen berühmten Profifußballer ansetzt, der sich in die BRD abgesetzt hat.


Mit seinem Führungsoffizier Dirk Hartmann (Devid Striesow) reist Walter so nach Hamburg, wo das Leben des "Fahnenflüchtlings" ausspioniert und dieser durch Erpressung unter Druck gesetzt wird. Ziel ist es die reuige Rückkehr des Stars zu erreichen, die dann medienwirksam inszeniert würde.


Macht Walter zunächst ohne größere Bedenken mit, so kommen ihm zunehmend moralische Bedenken gegenüber seinem Tun, als er erkennt, mit welchen perfiden Methoden hier psychischer Druck auf den Geflohenen ausgeübt wird. Doch Aussteigen aus der Tätigkeit ist nicht möglich, denn unmissverständlich macht ihm Hartmann klar, dass dann die geplante Augenoperation seiner Mutter wohl nicht durchgeführt werden könne.


Der Täter Walter wird so zunehmend zum Opfer. Die psychische Belastung lässt ihn vermehrt zum Alkohol greifen. Das verordnete Schweigen über seine Tätigkeit belastet zunehmend seine Ehe mit Corina. Einziger Ausweg scheint die Flucht aus dem Unrechtsstaat.


Konzentriert und stringent entwickelt Stünkel die Handlung. Eher störend und wenig ergiebig sind aber kurze eingeschnittene Szenen vom späteren Prozess vor dem Militärstrafsenat. Kameramann Nikolai von Graevenitz evoziert mit der Dominanz von Brauntönen in Verbindung mit der sorgfältigen Ausstattung dicht die beklemmende Atmosphäre dieser Zeit. Zu dieser tragen auch zeitgenössische Songs als On-Screen-Musik bei, während der Verzicht auf extradiegetische Filmmusik die Nüchternheit und den Ernst von "Nahschuss" verstärkt. Gleichzeitig stellt sich von Szene zu Szene durch immer wieder neue Details ein zunehmend komplexeres und verabscheuungswürdigeres Bild eines menschenverachtenden Regimes ein.


Getragen wird das dicht inszenierte Drama aber auch von seinen Hauptdarsteller*innen. Eindringlich vermittelt Lars Eidinger die Entwicklung Walters vom lebensfrohen jungen Wissenschaftler zum zunehmend zweifelnden, langsam zerbrechenden und auch körperlich zerfallenden Mann. Großartig ist aber auch Devid Striesov als nach außen hin stets jovialer und freundlicher Führungsoffizier, der aber Walter auch ohne Zögern massiv unter Druck setzt, wenn dieser nicht spurt. Und schließlich ist da noch Luise Heyer, der es ebenfalls bewegend gelingt, ihre Zerrissenheit zwischen Liebe und Unverständnis für die Wandlung ihres Mannes zu vermitteln.


An Sprachversionen bieten die bei Alamode Film erschienene DVD und Blu-ray die deutsche Originalfassung und deutsche Untertitel für Hörgeschädigte. Als Extras gibt es neben Trailern zu weiteren Titeln des Labels Interviews mit der Regisseurin Franziska Stünkel sowie mit dem Schauspielertrio Eidinger, Striesow und Heyer.


Trailer zu "Nahschuss"


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