Eine junge FBI-Agentin mit hellseherischen Fähigkeiten soll einen Serienkiller jagen, wird dabei aber mit ihrer eigenen, traumatischen Kindheit konfrontiert: Die Vorbilder sind unübersehbar, dennoch gelang Oz Perkins ein düsterer und packender Mix aus Thriller und Horrorfilm mit einer starken Protagonistin.
Verstörend ist schon der in engem quadratischem Format gehaltene Auftakt, in dem ein Mädchen auf einer abgelegenen Farm einem unheimlichen clownartigen Mann begegnet. – Die Szene überlagert den ganzen Film, gibt ihm schon einen düsteren Grundton, lässt aber auch bei der jungen FBI-Agentin Lee Harker (Maika Monroe) schwere Spuren zurück, verfolgt sie diese Erfahrung doch auch noch 20 Jahre später.
Heftig geht es weiter, wenn Lee bei ihrem ersten Einsatz mit ihren hellseherischen Fähigkeiten erkennt, dass sich in einem gepflegten und unscheinbaren Vorstadthaus ein gesuchter Killer aufhält. Ihr Partner will ihr allerdings nicht glauben.
Aufgrund dieser Hellsichtigkeit wird Lee von ihrem Vorgesetzten Carter (Blair Underwood) in einer Mordserie, bei der seit Jahrzehnten jeweils ein Familienvater zunächst Frau und Kinder dann sich selbst getötet zu haben scheint, beigezogen. Diese verbeißt sich in den Fall und wird dabei zunehmend auch mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert.
Wie der clownartige Longlegs, den ein durch die Maske unkenntlicher Nicolas Cage spielt, an Stephen Kings "Es" erinnert, so weckt die brillante, aber traumatisierte FBI-Agentin natürlich Erinnerungen an Jodie Fosters Clarice Starling in "Das Schweigen der Lämmer" und das düstere Menschenbild scheint schließlich von David Finchers "Se7en" inspiriert.
Anthony Perkins´ Sohn Oz Perkins, dem schon mit "Gretel und Hansel" ein ungewöhnlicher Märchen-Horrorfilm gelang, erfindet das Genre des Serienkillerfilms somit nicht neu, doch vermengt er die Einflüsse gekonnt zu einem beklemmenden und hochspannenden Mix aus Thriller und Horrorfilm.
Schon das wolkenverhangene ländliche Oregon erzeugt hier eine beunruhigende Atmosphäre. Dazu kommt, dass Perkins geschickt Informationen zurückhalt, das Publikum im Ungewissen lässt und erst langsam ihm einen Überblick gewährt.
Dicht evoziert er auch mit Kleidung und Ausstattung die Stimmung der 1990er Jahre, auf die immer wieder Porträts von Bill Clinton verweisen, und der Nixon-Ära der 1970er Jahre in den Rückblenden. Herz des Films ist aber die von Maika Monroe gespielte Lee. Nicht viel erfährt man zunächst über sie, soziale Kontakte scheint sie nur zu ihrer Mutter (Alicia Witt) zu pflegen und auch diese scheinen von belastenden Erfahrungen bestimmt. Zunehmend klarer wird aber hinter dem schweigsamen Auftreten eine schwere kindliche Traumatisierung.
Zu offensichtlich ist zwar gegen Ende für das Publikum, wer in die Verbrechen involviert sein muss, während Lee immer noch ahnungslos ist, doch der Spannung tut diesen keinen Abbruch, bringt diese Wendung doch weitere Aspekte ins Spiel. Denn Perkins zeichnet in diesem Thriller über Satanismus nicht nur ein schockierendes Bild der Gewalt, die auch in biedere amerikanische Familien einbrechen kann, sondern erzählt auch von einem verstörenden Teufelspakt, religiösem Fanatismus und den mörderischen Folgen einer grenzenlosen Mutterliebe.
Indem der 50-jährige Amerikaner dabei, konzentriert und schnörkellos, ganz aus der Perspektive Lees erzählt und auf alle Nebenhandlungen verzichtet, sorgt er dafür, dass nie Leerlauf aufkommt. Auf explizite Gewaltszenen wird weitgehend verzichtet, die überlegte Bildsprache mit genau komponierten Einstellungen (Kamera: Andreas Arochi) und Sounddesign reichen völlig aus, um Spannung zu erzeugen und durchgängig Beunruhigung auszulösen. Stark ist aber auch, wie er in einer verstörenden Schlusswendung nochmals zu einer früh aufgenommenen Begegnung zurückführt und den Schrecken und die Gewalt wieder direkt in eine gutbürgerliche Familie bringt.
Was hier passiert, mag völlig irrational sein, vermittelt aber eindrücklich, was wohl in früheren ermordeten Familien passiert ist und wie diese irrationalen Gewaltausbrüche in die Welt und in Familien einbrechen können. So zerstört "Longlegs" auch den Glauben an jede Sicherheit, lässt mit dem dumpfen Gefühl zurück, dass die geordnete Welt und bürgerliche Fassaden jederzeit zerbrechen und Schrecken ausbrechen können, denn unerklärt und unerklärlich bleibt hier das Böse letztlich, erscheint als Urgewalt mit grenzenlosem Zerstörungstrieb, das mühelos biedere Bürger:innen für sein blutiges Werk manipuliert und instrumentalisiert.
Longlegs USA / Kanada 2024 Regie: Oz Perkins mit: Maika Monroe, Blair Underwood, Alicia Witt, Nicolas Cage, Vanessa Walsh, Kiernan Shipka, Lisa Chandler, Erin Boyes Länge: 102 min.
Läuft jetzt in den Kinos.
Trailer zu "Longlegs"
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