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  • AutorenbildWalter Gasperi

Les jeunes amants


Ein glücklich verheirateter 45-jähriger Arzt und Familienvater verliebt sich in eine 70-jährige Frau. - Soll er für diese Liebe sein ganzes bisheriges Leben aufs Spiel setzen? Doch auch die Geliebte ist unsicher. – Getragen von der großartigen Fanny Ardant und einem starken Melvil Poupaud lotet Carine Tardieu feinfühlig und differenziert diese Liebe trotz großen Altersunterschieds aus.


In den frühen 1980er Jahren war Fanny Ardant die Muse und Lebensgefährtin von Francois Truffaut. Die Rollen in "Die Frau nebenan" und "Auf Liebe und Tod" trugen wesentlich zu ihrem Ruhm bei, doch dann starb Truffaut 1984 an einem Gehirntumor. Mit zahlreichen großen Regisseuren wie Alain Resnais, Ettore Scola und Paolo Sorrentino drehte Ardant in den folgenden Jahrzehnten, nachdrücklich in Erinnerung bleibt beispielsweise ihre Rolle im Frauenensemble in François Ozons "Acht Frauen". In den letzten Jahren sah man diese Grande Dame des französischen Films in den Kinos des deutschsprachigen Raums aber nur selten.


Eine wunderbare Altersrolle bot ihr vor neun Jahren Marion Vernouxs "Les belles jours – Die schönen Tage", in dem sie eine alternde Zahnärztin spielte, die sich in einen wesentlich jüngeren Dozenten verliebt. Diese Grundkonstellation bestimmt auch Carine Tardieus Liebesfilm, der auf einem Drehbuch der 2015 an Brustkrebs verstorbenen Solveig Anspach beruht. Anspach ist nun "Les jeunes amants", der von der Geschichte ihrer Mutter inspiriert ist, gewidmet.


Die Handlung setzt 2006 in einem Krankenhaus in Lyon ein. Fürsorglich kümmert sich hier der junge Onkologe Pierre (Melvil Poupaud) um die ältere Architektin Shauna (Fanny Ardant), die der nahende Tod ihrer besten Freundin schwer belastet. Nur eine kurze Begegnung ist dies, aber sofort spürt man die gegenseitige Sympathie und eine Zuneigung Pierres, die über ärztliche Sorge und Einfühlungsvermögen hinausgeht.


Mit einem Schnitt überspringt Tardieu nach dieser Exposition 15 Jahre und lässt Pierre diese inzwischen 70-jährigen Frau während eines Kongresses in ihrem irischen Ferienhaus wiederbegegnen. Wieder sind es Blicke und Gesten, in denen die stille Übereinstimmung und Vertrautheit sofort greifbar werden, gleichzeitig sind aber auch die Zurückhaltung und Unsicherheit nicht übersehbar.


Schon diese ersten Momente berühren, weil die Gefühle durch Tardieus feinfühligen Blick und das Spiel von Fanny Ardant und Melvil Poupaud echt und wahrhaftig wirken. Man spürt, im Spiel Ardants, dass ihre Shauna nie daran gedacht hat, sich nochmals zu verlieben, zufrieden ist mit ihrem Single-Leben, bis dann in ihren Blicken doch ganz sanft eine Sehnsucht und ein Begehren aufflackern.


Doch wieder scheinen sich der 45-jährige Pierre und die 25 Jahre ältere Shauna aus den Augen zu verlieren. Er geht zurück nach Lyon, sie pendelt zwischen Irland und Paris. Doch obwohl er glücklich verheiratet ist und einen achtjährigen Sohn und eine 18-jährige Tochter hat, geht ihm diese Frau nicht mehr aus dem Kopf.


So kontaktiert er sie, als er eine Sitzung in Paris hat. Man trifft sich und absehbar ist, dass sich eine Liebesbeziehung entwickeln wird. Doch wie behutsam Tardieu dieses Spannungsfeld von Begehren und Zögern inszeniert, wie zart sie auf das Paar blickt, wenn die Kamera bei den ersten Küssen ganz nah dran ist, das unterscheidet "Les jeunes amants" dann doch von den meisten Liebesfilmen.


Vor allem Shauna bleibt zurückhaltend, erinnert Pierre daran, dass ihre Liebe aufgrund ihres Alters keine lange Zukunft haben kann. Verschärft wird dies noch durch eine Erkrankung Shaunas, doch Pierre will trotzdem nicht locker lassen.


Tardieu setzt nicht auf große emotionale Momente, sondern erzählt zurückhaltend und leuchtet differenziert die komplexe Situation und die Bedenken besonders Shaunas aus. Nicht isoliert steht dieses Paar dabei da, sondern ist in soziale Gefüge eingebettet. Da hat Shauna Angst vor der Reaktion ihrer Tochter, während die Ehe Pierres durch die Beziehung fast zwangsläufig zerbricht.


So sehr Ardant und Poupaud auch im Zentrum stehen, so sehr lebt "Les jeunes amants" doch entscheidend auch von der Einbettung in dieses Umfeld und der perfekten Besetzung dieser Nebenrollen. Nötig ist dieser Hintergrund, um bewusst zu machen, wie ablehnend und verstört zumindest in der westlichen Gesellschaft immer noch auf eine Liebe zwischen einem jüngeren Mann und einer viel älteren Frau reagiert wird, während Beziehungen zwischen älteren Männern und jungen Frauen als selbstverständlich gelten. Ohne zu dozieren, erteilt Tardieu einem solchen Denken eine Absage und plädiert entschieden für die Gefühle und die reine Liebe.


Gleichzeitig erinnert sie aber auch sowohl mit Pierres Beruf als Onkologe als auch mit dem Gegenpol von Pierres Skateboard fahrendem Sohn und der zunehmenden Gebrechlichkeit Shaunas an die Vergänglichkeit und Hinfälligkeit des Lebens. Und trotzdem oder gerade deshalb stellt Pierre Shaunas "Ich werde sterben" das Auskosten jedes Augenblicks gegenüber, wenn er ihr antwortet "Aber im Moment atmen wir beide die gleiche Luft. Also wollen wir das Beste daraus machen."


Les jeunes amants Frankreich / Belgien 2021 Regie: Carine Tardieu mit: Fanny Ardant, Melvil Poupaud, Cécile de France, Florence Loiret Caille, Sharif Andoura, Sarah Henochsberg, Martin Laurent Länge: 112 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen und im Skino Schaan.


Trailer zu "Les jeunes amants"




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