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Les Fantômes – Die Schattenjäger

  • Autorenbild: Walter Gasperi
    Walter Gasperi
  • 20. Juni
  • 4 Min. Lesezeit
"Les Fantômes - Die Schattenjäger": Beklemmendes Thrillerdrama
"Les Fantômes - Die Schattenjäger": Beklemmendes Thrillerdrama

Ein dem Assad-Regime entkommener Syrer jagt in Mitteleuropa einen der desertierten Folterknechte: Jonathan Millet gelingt mit seinem Spielfilmdebüt ein hochspannender, konzentrierter Mix aus Thriller und Psychodrama, der quälend intensiv von Traumatisierung, Exil und dem Wunsch nach Vergeltung erzählt.


Das Regime von Baschar al-Assad wurde zwar nach einem mehr als zehnjährigen Bürgerkrieg im Dezember 2024 gestürzt, dennoch ist Jonathan Millets Spielfilmdebüt nicht überholt. Denn "Les Fantômes – Die Schattenjäger" baut zwar auf dem konkreten zeitgeschichtlichen Hintergrund auf, ist andererseits aber zeitlos mit der Thematisierung des Schreckens einer Diktatur, der Traumatisierung der Opfer und deren Verlangen nach Vergeltung.


Der 1985 geborene Franzose Jonathan Millet, der nach einem Studium der Philosophie und zahlreichen Reisen in schwer zugängliche Länder Dokumentarfilme unter anderem über den Amazonas und die Antarktis gedreht hat, versetzt in seinem ersten Spielfilm von der ersten Szene an unmittelbar in die Perspektive seines Protagonisten.


Wie man hier zu Schwarzfilm zuerst nur leises Atmen hört, das sukzessive lauter wird und mit weiteren Geräuschen eine beunruhigende Atmosphäre erzeugt, bis durch Schlitze in der Plane Licht auf die mit Männern überfüllte Ladefläche eines LKW fällt und schließlich Schüsse knallen, stimmt schon auf die großartige Arbeit des Tonmeisters Nicolas Waschkowski und des Elektro-Pop-Musikers DJ Yuksek ein.


Mitten in der Wüste werden die Männer von Soldaten, in der Meinung, dass sie umkommen werden, ausgesetzt. Intensiv blickt der junge Hamid (Adam Bessa) auf seine Peiniger, ehe der Film mit einem Schnitt zwei Jahre von 2014 bis 2016 überspringt und von Syrien nach Straßburg wechselt.


Hier arbeitet Hamid, der sich manchmal auch Nasir, Bassem oder Saleh nennt auf einer Baustelle. Wenn seine Kollegen fast ausschließlich Afrikaner sind, sagt das auch einiges über die Arbeitsverhältnisse im heutigen Mitteleuropa. Doch diese Arbeit ist nur Tarnung, denn der Flüchtling, der in seiner Heimat Literaturprofessor war, ist vor allem daran interessiert mittels eines Fotos einen ebenfalls aus Syrien geflohenen Landsmann aufzuspüren.


Dabei arbeitet er nicht allein, sondern ist Teil einer Gruppe, die im Untergrund agiert. Ihr Ziel ist es desertierte Handlanger des Assad-Regimes aufzuspüren. Diese sollen mit belastendem Material der Gerichtsbarkeit übergeben werden, aber auch Gedanken an Selbstjustiz bleiben dabei nicht aus.


Hautnah folgt die Kamera von Olivier Boonjing Hamid. Bald ist sie im Rücken des Flüchtlings, bald blickt sie von vorne auf ihn. Dem Blick auf Hamid steht sein Blick auf einen jungen syrischen Chemiestudenten gegenüber, in dem er seinen Peiniger Harfaz (Tawfeek Barhom) zu erkennen glaubt. Von diesem observierenden Blick wird das von wahren Begebenheiten inspirierte Thrillerdrama bestimmt.


Immer näher kommt Hamid seinem Landsmann, den er bei den brutalen Verhören und Folterungen im berüchtigten syrischen Gefängnis Saidnaya nie gesehen, sondern nur gehört und gerochen hat, denn immer wurde ein Sack über den Kopf der Gefangenen gestülpt. Zu einem intensiven Gespräch kommt es in der Mensa, in der der Beobachtete Hamid aushören will und dessen – zumindest scheinbare – Leutseligkeit die Zurückhaltung Hamids gegenübersteht. Jeder Hintergrund wird in dieser beklemmenden Szene durch die Arbeit mit Großaufnahmen ausgeblendet, ist gleichzeitig aber doch durch das Stimmengewirr und die Geräusche von Geschirr präsent.


Hamids Auftraggeber hegen aber Zweifel, ob es sich hier wirklich um den Gesuchten handelt, soll dieser doch auch an anderen Orten entdeckt worden sein. Man will ihn aus Straßburg abziehen, doch er hält an seinem Verdacht fest.


Verpackt in die Thrillerhandlung zeichnet Millet auch ein vom zurückhaltenden, aber intensiven Spiel Adam Bessas getragenes, beklemmendes Porträt eines traumatisierten Flüchtlings. Während Hamit nämlich im Gefängnis saß, kamen seine Frau und seine Tochter bei einem Bombenanschlag ums Leben. Audioaufnahmen, in denen ein anderer Syrer seine Folterung schildert, rufen wiederum erschütternd die Brutalität des Regimes in Erinnerung.


Aber nicht nur traumatisiert, sondern auch völlig isoliert bewegt sich Hamid durch Straßburg. Zu seiner Gruppe hat er nur im Internet via Online-Kriegsspiele Kontakt, in denen sie mit Fußballclubs als Decknamen unverfänglich über Mord und Beschattung sprechen können. Die Begegnungen mit einer deutschen Mitarbeiterin (Julia Franz Richter) beschränken sich aufs Nötigste. Auch die Video-Telefonate mit seiner Mutter, die in einem Flüchtlingslager in Beirut lebt, evozieren das Gefühl von Distanz und Einsamkeit, verheimlicht er doch auch ihr seine wahre Tätigkeit und täuscht ein nicht existentes Leben in Deutschland vor.


Abgesehen von diesen indirekten Kontakten, gibt es kaum direkte Dialoge. Eindrücklich vermittelt Millet auch in der ausführlichen Schilderung der wortlosen Beobachtertätigkeit Hamids Einsamkeit. Ein neues Leben könnte er vielleicht mit der Syrerin Yara beginnen, die er bei seinen Recherchen kennenlernt. Doch zu groß ist Hamids Trauer und wohl auch sein Misstrauen gegenüber der jungen Frau, die in ihrer Heimat Medizin studierte und nun in Straßburg eine Schneiderei betreibt. Zwar trifft er sich mehrmals mit ihr, doch seine Identität möchte er nicht preisgeben.


Gerade mit diesen zwar im Prinzip vorhandenen, aber letztlich doch nicht erfüllenden Beziehungen zur Mutter und zu Yara macht Millet die Leerstellen im Leben Hamids spürbar. Während Yara sagt "Wir haben alle unsere Toten. Das Leben geht weiter", scheint für Hamid die Trauer übermächtig, und doch deutet Millet in seinem famosen Debüt am Ende einen Neuanfang an, relativiert diesen aber gleichzeitig wieder mit Hamids tieftraurigem Blick in die Kamera.

 

Les Fantômes – Die Schattenspieler Frankreich / Belgien / Deutschland 2024 Regie: Jonathan Millet mit: Adam Bessa, Tawfeek Barhom, Julia Franz Richter, Hala Rajab Länge: 105 min.



Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Kinok St. Gallen.

Trailer zu "Les Fantômes - Die Schattenjäger"


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