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  • AutorenbildWalter Gasperi

Kajillionaire


Das amerikanische Multitalent Miranda July erzählt in ihrer Komödie von einer sehr schrulligen Familie von Trickbetrügern. – Eine US-Indie-Perle, die von wunderbar schrägen Szenen ebenso lebt wie vom warmherzig-mitfühlenden Blick auf die Protagonistin.


Die 1974 in Vermont geborene Miranda July ist ein echtes Multitalent: Sie schreibt Kurzgeschichten ebenso wie Drehbücher, ist Musikerin und Performance-Künstlerin und drehte nach und neben zahlreichen Kurzfilmen seit 2005 mit "Me and You and Everyone We Know" (2005), "The Future" (2011) und nun "Kajillionaire", dessen Titel Superreiche bezeichnet, auch drei lange Spielfilme.


Während July in den ersten beiden Filmen nicht nur für Regie und Drehbuch verantwortlich zeichnete, sondern auch noch eine Hauptrolle spielte, erscheint sie in ihrem jüngsten Streich nicht mehr vor der Kamera, sondern überlässt den filmischen Raum dem Trickbetrüger-Paar Theresa (Debra Winger) und Robert (Richard Jenkins) und deren 26-jährigen Tochter Old Dolio (Evan Rachel Wood).


Wenig ergiebig sind freilich die schrägen Tricks, mit denen Old Dolio Pakete und Briefe aus einem Postamt entwendet, von Reihenhausbewohnern einen Finderlohn herausschlagen will, aber nur einen Gutschein für eine Massage erhält, oder von einer Versicherung Schadenersatz für angeblich verlorenes Fluggepäck ergaunern will. Als ausbeuterisch erscheinen dabei die Eltern gegenüber ihrer Tochter, denn bei ihr liegt die Hauptlast bei den krummen Touren, doch die spärliche Beute wird immer auf alle drei gleichmäßig aufgeteilt.


Auch wenn sie nur in einem unwohnlichen Lagerraum leben, in den ständig Schaum von der angrenzenden Seifenfabrik drückt, der regelmäßig abgewischt werden muss, reicht das Geld nicht für die Miete. Monate sind sie im Rückstand und heimlich schleichen sie sich immer wieder am Vermieter vorbei, der aber so empfindsam ist, dass er, wenn er der Familie begegnet sogleich in Tränen ausbricht und ihnen immer wieder Zahlungsaufschub gewährt.


July interessiert sich weniger für eine stringente Handlungsführung als vielmehr für kleine Szenen. Ihr Film lebt vom Blick für die eigenwilligen Details wie wiederholten kleinen, aber folgenlos bleibenden Erdbeben und den herrlich schrägen und großartig besetzten Figuren. Im Zentrum steht dabei Tochter Old Dolio, der im Zuge einer Therapiesitzung, in die sie eher zufällig gerät, bewusst wird, dass Eltern-Tochter-Beziehungen auch ganz anders aussehen können und sollen. Zum Nachdenken bringt sie hier ein Film, in dem ein Baby gezeigt wird, das nach der Brust der Mutter strebt. Langsam erkennt sie, dass ihr nie Liebe geschenkt wurde, dass sie ins Kinderbett weggelegt wurde, sie nie "Honey" oder "Sweetheart" genannt und nie zum Geburtstag beschenkt wurde.


Befeuert wird diese Selbsterkenntnis durch die weltoffene und quirlige Puerto Ricanerin Melanie (Gina Rodriguez), die sich auch im Gegensatz zu Old Dolio, die meist einen alten Trainingsanzug trägt, modisch kleidet. Vom vermeintlich prickelnden Abenteuer des Trickbetrugs à la "Ocean´s Eleven" fasziniert, schließt sie sich nicht nur dem Trio an, sondern zeigt Old Dolio mit ihrer eigenen überbesorgten Mutter auch eine ganz andere Mutter-Tochter-Beziehung als die, die sie selbst erfahren hat und immer noch erfährt.


So erzählt July von einem Selbstfindungs- und Abnabelungsprozess. Wenn Old Dolio so nach einem weiteren Erdbeben mit Melanie aus dem Dunkel eines fensterlosen Raums ins gleißende Licht tritt und die Kamera in einer langen Plansequenz völlig frei ihr folgt, wird diese neu gewonnene Autonomie auch direkt durch die filmische Form vermittelt.

An die Stelle der Distanz zu den Figuren am Beginn tritt mit dieser Entwicklung auch ein zunehmend einfühlsamerer Blick auf die junge Frau und das Schrullige wird durch bewegende emotionale Tiefe abgelöst.


Ein typischer US-Indie-Film ist dies in seiner völlig befreiten und verspielten Erzählweise, bei der weitgehend nur beobachtet und kaum etwas erklärt wird. Aber gerade durch diese Unbekümmertheit und Freiheit entwickelt "Kajillionaire" eine Frische und Echtheit, die am Reißbrett entworfenen Mainstream-Filmen zumeist fehlen.


Läuft derzeit in den Schweizer Kinos, z.B. im Skino in Schaan und ab 4.12. im Kinok in St. Gallen


Trailer zu "Kajillionaire"





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