
Nach dem phänomenalen Erfolg von "Joker" legt Todd Phillips nach, bricht aber Erwartungshaltungen, indem er auf Action verzichtet und dafür einen Mix aus Gefängnis-Gerichtsfilm und Musical bietet: Starke Bilder, aber das Konzept wirkt unausgegoren.
Nicht nur den Goldenen Löwen von Venedig gewann Todd Phillips 2019 mit "Joker", sondern er verhalf Hauptdarsteller Joaquin Phoenix auch zu einem Oscar und Warner Brothers zu einem Kassenschlager mit einem Einspielergebnis von über einer Milliarde Dollar.
Eine Fortsetzung konnte angesichts dieses Erfolgs nicht ausbleiben, doch Todd Phillips erzählt nicht einfach die Geschichte weiter, sondern setzt auf einen radikalen Stilbruch und riskiert damit viel. War "Joker" nämlich das beklemmende Psychogramm eines Gedemütigten, der schließlich vom Opfer zum Täter wird, so lässt sich in "Joker: Folie à Deux" kaum eine Entwicklung feststellen, sondern vielmehr bestimmt bewusst Stillstand den Film.
Verwundern kann dies freilich nicht, sitzt der erfolglose Comedian Arthur Fleck alias Joker (Joaquin Phoenix) nach seinen fünf Morden doch im Gefängnis von Gotham City und wartet auf seine Gerichtsverhandlung, die den einen großen Teil des Films bestimmen wird. An die Stelle der Kontrastierung von tristem New York und heiler und fröhlicher TV-Welt im Vorgängerfilm tritt hier die Opposition von in blaugrau getauchten Gefängnisszenen und Flucht in die Fantasiewelt von Musicals.
Mit einem von Sylvain Chomet inszeniertem Cartoon wird als Einstieg nicht nur an den Mord Jokers am Talkmaster Murray Franklin am Ende von "Joker" erinnert, sondern mit Postern von Filmklassikern im Hintergrund auch an zahlreiche Meisterwerke, die Warner Brothers im Laufe der Filmgeschichte produziert hat. Das Spiel mit der Filmgeschichte setzt sich fort, wenn Joker im Gefängnis zusammen mit Harley Quinn (Lady Gaga) das Fred Astaire-Musical "The Band Wagon" (Vincente Minnelli, 1953) ansieht.
Während dessen Song "That´s Entertainment" auf das Spiel mit Realität und Fantasiewelt, das sich durch den Film zieht, einstimmt, wird mit dem Namen Harley Quinn, der eine Verballhornung von "Harlekin" ist, eine Gegenfigur zum Joker aufgebaut. Sie hat sich als leidenschaftlicher Fan freiwillig in die psychiatrische Anstalt einliefern lassen, um seine Fantasie und seinen einstmals wilden Widerstand gegen die Gesellschaft zu befeuern.
Wirkt Joker aber nun lethargisch, so weckt Harley Quinn in ihm nicht nur die Lust am Singen. Bald verliebt er sich nämlich in die rebellische junge Frau, doch wird er durch ihren Einfluss auch wieder seine anarchische Energie entwickeln?
An Lars von Triers "Dancer in the Dark" erinnert, wie das Duo immer wieder mit Songs vor allem von Frank Sinatra wie "That´s Life" oder "I've Got the World on a String" aus der bedrückenden Gefängniswelt oder später dem nüchternen Gerichtssaal in eine Traumwelt entflieht. Dem kalten und schäbigen Milieu, in dem Joker den Sadismus und die Schikanen der Wärter emotionslos über sich ergehen lässt, steht auf der anderen Seite eine von leuchtenden Farben bestimmte Bühnenwelt gegenüber.
In dieser Zweiteilung der äußeren Welt spiegelt sich die innere Spaltung des Protagonisten, der einerseits der erfolglose und gedemütigte Comedian Arthur Fleck ist, in dem andererseits aber eben auch der cholerische Mörder Joker steckt.
So kann man die Ambivalenz der Menschen und der Welt, den Gegensatz von Realität und Fantasie, von tristem Alltag und leuchtender Show-Welt, von unscheinbarem Bürger und eiskaltem Mörder, von Rationalität und Wahnsinn, von Liebe und Gewalt als zentrales Thema von "Joker: Folie à Deux" ansehen, doch wirklich entwickelt werden diese Aspekte nicht.
Denn auch wenn das Spiel mit diesen Gegensätzen visuell aufregend in Szene gesetzt ist, so fehlt es doch an Handlung. Weder gewinnt die Figur Jokers gegenüber dem ersten Film weitere Facetten, noch bekommt die von Lady Gaga gespielte Harley Quinn wirklich Profil. Endlos lang zieht sich schließlich auch der Prozess gegen Joker hin, bei dem er schließlich seine Anwältin (Catherine Keener) feuert und selbst seine Verteidigung übernimmt.
Kühn ist es zweifellos von Todd Phillips bei einer 200 Millionen Dollar-Produktion Erwartungshaltungen so radikal zu unterlaufen und statt einem action- und temporeichen Kinoreißer einen ziemlich statischen Mix aus Gefängnis/Gerichtsfilm und Musical zu bieten. Doch diese Kombination will nicht aufgehen, da einerseits die Gerichtsszenen ausgesprochen konventionell und überraschungsarm inszeniert, andererseits in den Musicalszenen ganz auf die Songs vertraut wird. Dass diese meist statisch auf einer Bühne vor schwarzem Hintergrund gesungen werden und auf die sonst für Musicals üblichen mitreißend choreografierten Tanzszenen verzichtet wird, war sicher eine bewusste Entscheidung, tut "Joker: Folie à Deux" aber nicht gut.
Im Gegensatz zu von Triers "Dancer in the Dark" wirkt hier nämlich die Verbindung der beiden Ebenen nicht nur unausgegoren, sondern dieser Mix entwickelt auch auf keiner Ebene mitreißenden Drive, sondern verliert sich zunehmend in einer fast schon lähmenden Szenenfolge. – Auch an der Kinokasse dürfte sich so Todd Phillips zu bewundernde, aber letztlich gescheiterte Risikobereitschaft kaum auszahlen.
Joker – Folie à Deux USA 2024 Regie: Todd Phillips mit: Joaquin Phoenix, Lady Gaga, Brendan Gleeson, Catherine Keener, Harry Lawtey, Jacob Lofland, Bill Smitrovich Länge: 138 min.
Läuft derzeit in den Kinos.
Trailer zu "Joker: Folie à Deux"
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